Harro Schulze-Boysen

Rote Kapelle: Widerstand gegen Hitler und Spionage für Stalin



Anhang


Funkverbindungen der Roten Kapelle

Das über Belgien, Frankreich, die Niederlande, Schweiz und Deutschland gespannte sowjetische Spionagenetz, zu dem auch die Berliner Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe gehörte, wurde von der Abwehr und der Gestapo Rote Kapelle genannt. Bild: Heinz Höhne: Kennwort: Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle, Stuttgart/Hamburg 1971, S. 175 (Erstausgabe Frankfurt 1970).


Sammelbegriff Rote Kapelle

Das im Zweiten Weltkrieg über Belgien, Frankreich, die Niederlande, Schweiz und Deutschland gespannte sowjetische Spionagenetz wurde von der Abwehr und der Gestapo Rote Kapelle genannt. Dieser Begriff ergab sich daraus, dass man in der Geheimdienstsprache die Funker, die mit Kurzwellensendern morsten, Pianisten nannte. Mehrere Pianisten formten eine Kapelle, also war dieser kommunistische Spionagering eine Rote Kapelle. Das sowjetische Spionagenetz umfasste:

  • Illegale Niederlassungen der GRU (Militärnachrichtendienst der UdSSR) in den Niederlanden, Belgien und Frankreich unter Leitung sowjetischer Offiziere. Wichtige Mitarbeiter: Leopold Trepper (Gilbert, Grand Chef), Anatoli Markowitsch Gurewitsch (Kent, Petit Chef), Michail Makarow (Carlos Alamo), Johann Wenzel (Professor).
  • Berliner Rote Kapelle
    • Widerstandsgruppe um Harro Schulze-Boysen und Arvid Harnack. Ein Teil der Mitglieder wusste nichts von den Spionageaktivitäten für den NKGB (Auslandsnachrichtendienst der UdSSR). Zwei später hingerichtete Personen wurden unwissentlich als Quellen abgeschöpft (Herbert Gollnow, Erwin Gehrts). Zu diesem Schulze-Boysen/Harnack-Komplex gehörten auch Kader der KPD und ein Kreis um John Rittmeister. Einige Aktivisten standen schon seit vielen Jahren in den Diensten des sowjetischen Geheimdienstes (z.B. Arvid Harnack, Kurt Schulze). Auch von der GRU in der Sowjetunion ausgebildete und zur Verstärkung geschickte deutschstämmige Fallschirmagenten wie Wilhelm Fellendorf, Erna Eifler, Albert Hößler und Robert Barth gehörten in diesen Komplex.
    • Hans-Heinrich und Ingeborg Kummerow sowie Erhard Tohmfor (Industriespionage).
    • Rudolf von Scheliha und Ilse Stöbe im Auswärtigen Amt. Hierzu gehörten auch der Funker Kurt Schulze und der Fallschirmagent Heinrich Koenen.

Siehe auch: Gestapo-Abschlussbericht Rote Kapelle.


Kalendarium 1941 - 1942

15.03.1941NKGB-Auftrag von Moskau nach Berlin, Alexander Korotkow (Erdberg) solle Schulze-Boysen mit Hilfe von Harnack für die Spionagetätigkeit anwerben.
30.04.1941NKGB-Auftrag von Moskau nach Berlin, Alexander Korotkow (Erdberg) solle Harnack und Schulze-Boysen mit Funkgeräten, Funkschlüsseln und 60.000 Mark ausstatten.
22.06.1941Deutscher Angriff auf die Sowjetunion (Unternehmen Barbarossa).
26.06.1941Erster Funkspruch von Hans Coppi nach Moskau.
26.08.1941GRU-Funkspruch von Moskau nach Brüssel, der GRU-Agent Anatoli Markowitsch Gurewitsch (Kent, Petit Chef) solle in Berlin Adam Kuckhoff oder ersatzweise Libertas Schulze-Boysen kontaktieren, um dort den Funkverkehr ordnungsgemäß zum Laufen zu bringen.
19.10.1941Treffen von Anatoli Markowitsch Gurewitsch (Kent, Petit Chef) mit Schulze-Boysen und Harnack in Berlin. Einrichtung eines Kurierwegs für den Fall, dass der Funkverkehr erneut Probleme macht.
22.10.1941Vorübergehender Abbruch des Funkverkehrs von Hans Coppi, weil er einen Funkabwehrtrupp entdeckt hatte.
13.12.1941Der Sender von Michail Makarow (Carlos Alamo) in Brüssel (Rue de Atrébates) wird von der Abwehr und der Geheimen Feldpolizei ausgehoben.
16.05.1942Die Fallschirmagenten Erwin Panndorf, Anton Börner, Wilhelm Fellendorf und Erna Eifler springen über Ostpreußen ab.
17.05.1942Das Buch Le Miracle du Professeur Wolmar wird von FU III in Paris entdeckt, die Dechiffrierung von Funksprüchen beginnt.
18.05.1942Brandanschlag auf die NS-Ausstellung Das Sowjetparadies in Berlin durch die kommunistische Widerstandsgruppe um Herbert Baum. Klebezettel-Aktion Nazi-Paradies unter Leitung von Schulze-Boysen.
14.07.1942Die Dechiffrierer von FU III unter Wilhelm Vauck entschlüsseln den Funkspruch vom 26.08.1941.
30.07.1942Der Sender von Johann Wenzel (Professor) in Brüssel (Vorort Laeken) wird von der Abwehr und der Geheimen Feldpolizei ausgehoben.
05.08.1942Die Fallschirmagenten Albert Hößler und Robert Barth springen über Ostpreußen ab.
18.08.1942Verhaftung von Anton Winterinck in Amsterdam, Ende der niederländischen Gruppe Hilda, die vorrangig Material aus Berlin nach Moskau gesendet hatte.
30.08.1942Verhaftung von Harro Schulze-Boysen in Berlin. Danach: Gründung der Gestapo-Sonderkommission Rote Kapelle.
07.09.1942Verhaftung von Arvid und Mildred Harnack in Preil.
08.09.1942Verhaftung von Libertas Schulze-Boysen in Berlin.
12.09.1942Erste größere Verhaftungswelle (18 Personen).
17.09.1942Bei der Verhaftung von Helmut Roloff findet die Gestapo das erste funktionsfähige Funkgerät. Auf Grund von Informationen aus dem mit Hilfe von Johann Welzel von der Gestapo geführten Funkspiel mit Moskau wird Hans-Heinrich Kummerow, der den sowjetischen Nachrichtendienst seit 1933 mit technischen Geheiminformationen beliefert hatte, verhaftet.
15.10.1942Verhaftungsaktionen in Hamburg: Aussagen hatten zur Fallschirmagentin Erna Eifler und der dortigen kommunistischen Widerstandsgruppe um Bernhard Bästlein geführt.
23.10.1942Die Sowjets ahnen nichts und fallen auf ein deutsches Funkspiel herein: Der Fallschirmagent Heinrich Koenen springt über Ostpreußen ab.
29.10.1942Heinrich Koenen wird in Berlin mit der Kopie einer Zahlungsanweisung auf ein Schweizer Konto aus dem Jahr 1938 verhaftet, die zur Festnahme von Rudolf von Schehila führt. Koenens zweite Zielperson Ilse Stöbe ist bereits seit dem 12.09.1942 verhaftet.
12.11.1942Verhaftung von Anatoli Markowitsch Gurewitsch (Kent, Petit Chef) in Marseille (Rue de l'Abbé-de-l'Epée).
24.11.1942Verhaftung von Leopold Trepper (Gilbert, Grand Chef) bei einem Zahnarzttermin in Paris (Rue de Rivoli 13).
29.11.1942Inzwischen ist die Zahl der Verhaftungen in Deutschland auf 118 gestiegen. Allerdings sind etliche Verhaftete bereits wieder auf freiem Fuß.
15.12.1942Verhandlung gegen das Ehepaar Schulze-Boysen und weitere Mitglieder vor dem Reichskriegsgericht.
19.12.1942Todesurteil für Harro und Libertas Schulze-Boysen.
21.12.1942Mit der Verhaftung von Henry Robinson (Harry) in Paris ist die Rote Kapelle ausgeschaltet.
22.12.1942Hinrichtung von Harro und Libertas Schulze-Boysen in Plötzensee.

Die Gestapo versuchte bis Sommer 1943, mit Hilfe von umgedrehten Mitarbeitern der Roten Kapelle die Sowjets mit einem Funkspiel zu täuschen, um an Überreste der Roten Kapelle, das Komintern-Netz, den Untergrundapparat der KPF und an die sowjetischen Spionagegruppen in der Schweiz heranzukommen. Aus diesem Grunde wurde die Vernichtung der Roten Kapelle streng geheim gehalten.


Guy de Teramond: Le Miracle du Professeur Wolmar, Edition du Monde illustré, 1910

Die Abwehr hatte am 13. Dezember 1941 eine Spionagezelle der Roten Kapelle in Brüssel ausgehoben. Dort fand sie einen Papierschnipsel mit dem Wort Proctor, der aus einem Buch zu stammen schien, das zur Verschlüsselung von Funksprüchen nach Moskau verwendet worden war. Man recherchierte, dass ein bestimmter Roman von Guy de Teramond in Frage kam, der jedoch nicht im Handel war.

Dieser Science-Fiction-Roman aus dem Jahr 1910 war damals eine Gratiszugabe für die Abonnenten der Monde illustré, einer französischen Wochenzeitschrift, die von 1857 bis 1956 erschien. Es gelang der Abwehr, ein antiquarisches Exemplar dieses Buches mit dem Titel Le Miracle du Professeur Wolmar (dt.: Das Wunder des Professor Wolmar) zu beschaffen. Tatsächlich kam dort eine Figur mit dem Namen Proctor vor. Nun konnten zahlreiche Funksprüche dechiffriert werden.

Zusammenfassung des Romans (frz.): Un inconnu envoie par radio des dépêches à 3 savants de l’Académie des sciences. Il a découvert la quadrature du cercle, le mouvement perpétuel, le diamant artificiel. Il demande qu’une délégation le rencontre en plein océan. S’y adjoint le professeur Wolmar, célèbre chirurgien qui a opéré un criminel pour le traiter, apparemment sans succès. L’inconnu est l’assassin devenu honnête et un inventeur prodigieux qui met sa science au service de l’humanité. S’ensuit un tableau de ses réalisations et le projet de redresser l’axe de rotation de la Terre pour obtenir un printemps perpétuel. L’Allemagne s’y oppose. Las et déçu par les hommes, il s’échoue sur une île peuplée de naufragés, perd temporairement ses facultés, s’éprend d’une jeune fille, découvre le secret de l’immortalité.


Todesurteils des Reichskriegsgerichts vom 19. Dezember 1942 - Seite 1 und 2


Abschiedsbrief von Harro Schulze-Boysen vom 22. Dezember 1942


Fernschreiben vom 22. Dezember 1942 von Gestapochef Heinrich Müller an Heinrich Himmler

Adolf Hitler hatte sich die Bestätigung der Urteile des Reichskriegsgerichts persönlich vorbehalten. Er bestätigte die Todesurteile, nicht aber die Haftstrafen für Mildred Harnack und Erika von Brockdorf. Die beiden Frauen wurden in einem Revisionsverfahren zum Tode verurteilt. — Um das Funkspiel der Gestapo mit Moskau nicht zu gefährden, wurde die Vernichtung der Roten Kapelle geheimgehalten. Dr. Hans Heinrich Kummerow, der den sowjetischen Geheimdienst seit 1932 mit Geheimnissen aus der Rüstungsindustrie beliefert hatte und durch das im Herbst 1942 begonnene Gestapo-Funkspiel mit Moskau entlarvt worden war, wurde deshalb nicht an seiner Arbeitsstätte, der Firma Loewe-Radio, öffentlich erhängt. Quelle: Bundesarchiv NS 19/2040


Die Toten der Berliner Roten Kapelle

  Kommunist    Partei    "Kundschafter" seit    DDR-Orden / Briefmarke  
1  Karl Behrensxx1935♦♦♦
2  Liane Berkowitz
3  Karl Böhmexx1941
4  Cato Bontjes van Beek
5  Erika von Brockdorfx1941♦♦♦
6  Eva Maria Buch
7  Hans Coppixx1941♦♦  61
8  Hilde Coppixx1941♦♦  61
9  Erna Eiflerxx1941
10  Wilhelm Fellendorfxx1941
11  Erwin Gehrts(1941)
12  Ursula Goetzexx
13  Herbert Gollnow(1941)
14  Herbert Grassexx
15  John Graudenzxx1941♦♦♦
16  Wilhelm Guddorfxx
17  Arvid Harnackxx1935♦♦♦♦  64 83
18  Mildred Harnackx1935♦♦♦  64
19  Horst Heilmannx1941♦♦
20  Helmut Himpel
21  Albert Hößlerxx1941♦♦♦
22  Emil Hübnerxx1929♦♦
23  Walter Husemannxx
24  Else Immexx1942♦♦
25  Heinrich Koenenxx1941
26  Anna Krauss1941
27  Walter Küchenmeisterxx
28  Adam Kuckhoffx1941♦♦♦♦  64
29  Hans-Heinrich Kummerow1933♦♦♦♦
30  Ingeborg Kummerow1933♦♦♦
31  Eugen Neutertxx
32  Fritz Rehmer
33  John Rittmeister
34  Klara Schabbelxx1942♦♦
35  Philipp Schaefferxx
36  Rudolf von Scheliha1938
37  Bodo Schlösingerxx1941
38  Rose Schlösingerx1941
39  Oda Schottmüller1941
40  Kurt Schulzexx1929♦♦♦
41  Harro Schulze-Boysenx1941♦♦♦♦  64 83
42  Libertas Schulze-Boysen1941
43  Elisabeth Schumacherx1941♦♦♦
44  Kurt Schumacherxx1941♦♦♦
45  Wilhelm Schürmann-Horsterxx
46  John Siegxx83
47  Ilse Stöbex1931♦♦♦♦
48  Heinz Strelowxx
49  Maria Terwiel
50  Fritz Thielxx1941
51  Wolfgang Thiessxx
52  Erhard Tohmfor1934
53  Albert Voigtsxx
54  Martin Weisexx
55  Richard Weißensteinerxx1941
56  Frida Wesolekxx1929♦♦
57  Stanislaus Wesolekxx1929♦♦
41 (71,9%)33 (57,9%)36 (63,2%)27 (47,4)  /  7 (12,3%)

Kommunist:

  
Als Quelle dient Die Schulze-Boysen/Harnack-Organisatiom im antifaschistischen Kampf von Biernat/Kraushaar. Trotz aller Fragwürdigkeit dieses 1970 vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED herausgegebenen Buches können die Angaben zur politischen Einstellung, Parteiangehörigkeit und "Kundschaftertätigkeit" der beschrieben Personen als verlässlich angesehen werden, zumal sie mit anderen Quellen nicht im Widerspruch stehen.

Bei dieser überwältigenden Mehrheit von Kommunisten ist zu berücksichtigen, dass von den Nichtkommunisten Hans-Heinrich und Ingeborg Kummerow, Erhard Tohmfor sowie Rudolf von Scheliha nicht zum Schulze-Boysen/Harnack-Komplex gehörten und Erwin Gehrts sowie Herbert Gollnow unwissentlich als Quellen abgeschöpft wurden. Damit bleiben mit Liane Berkowitz, Cato Bontjes van Beek, Eva Maria Buch, Helmut Himpel, Anna Krauss, Fritz Rehmer, John Rittmeister, Oda Schottmüller, Libertas Schulze-Boysen und Maria Terwiel gerade noch 7 Frauen und 3 Männer (insgesamt 17,5 %) übrig, die sich mit sozialistischen oder anderen politischen Einstellungen in diesem kommunistisch geprägten Umfeld bewegten. – Es mag sein, dass die kommunistische Dominanz etwas geringer ausfiele, wenn man die nicht ums Leben gekommenen Mitstreiter mit einbezöge. Die hier vorgenommene Analyse des "harten Kerns" verlöre dadurch nichts an Signifikanz.

Partei:
Mitgliedschaft im Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVD) oder in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Als Quelle dient in erster Linie Biernat/Kraushaar. Im Falle Arvid Harnack ein Brief von Georgi Dimitrow vom 12. April 1941 an den Leiter des NKGB Pawel Michailowitsch Fitin, deutsche Übersetzung in Coppi/Danyel/Tuchel (S. 118-120). Kurt Schuhmacher war laut einem Brief von Fitin an Dimitrow vom 2. Juni 1941 einige Jahre in der KPD, deutsche Übersetzung in Coppi/Danyel/Tuchel (S.133). Heinrich Koenen und Albert Voigt fehlen bei Biernat/Kraushaar, waren aber KJVD- bzw. KPD-Mitglieder laut Griebel/Coburger/Scheel (S. 252 u. S. 212).

"Kundschafter" seit:
Als Quelle dient in erster Linie Biernat/Kraushaar. Bei Erhard Tohmfor, der ab 1934 bei der Loewe Radio AG arbeitete, ist nicht sicher, ob er von Anfang an für die Sowjetunion tätig war, es könnte auch ein späteres Datum als 1934 sein, zumal er später einen wesentlich geringwertigeren Orden im Vergleich zu seinem Freund Hans-Heinrich Kummerow erhielt. Bei denen, die ihre Spionagetätigkeit gemeinsam mit Schulze-Boysen begannen, wurde das Jahr 1941 eingesetzt. Der bei Biernat/Kraushaar fehlende Heinrich Koenen wurde laut Griebel/Coburger/Scheel (S. 252) im Jahr 1941 als Fallschirmagent ausgebildet. Der bei Biernat/Kraushaar fehlende Rudolf von Scheliha hatte bereits 1938 Geld von den Sowjets auf ein Schweizer Bankkonto erhalten (Höhne 1970 S. 197). Die beiden eingeklammerten Jahreszahlen beziehen sich auf Personen, die unwissentlich als Quellen abgeschöpft wurden.

DDR-Orden / Briefmarke:

61DDR-Sonderbriefmarke 1961
64DDR-Sonderbriefmarke 1964
83DDR-Sonderbriefmarke 1983
Orden des Roten Sterns der UdSSR 1969
♦♦Orden des Vaterländischen Krieges Zweiter Stufe der UdSSR 1969
♦♦♦Orden des Vaterländischen Krieges Erster Stufe der UdSSR 1969
♦♦♦♦   Rotbannerorden der UdSSR 1969


Sowjetische Orden im Jahr 1969

Hohe sowjetische Orden

für antifaschistische

Widerstandskämpfer

Botschafter Abrassimow überreichte die Auszeichnungen

Berlin (ADN). Für aktive Teilnahme am Kampf gegen den Faschismus, Hilfe für die Sowjetunion während des Großen Vaterländischen Krieges und dabei bewiesenen Mut und Standhaftigkeit zeichnete das Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR mit dem Erlaß vom 6. Oktober d. J, eine Gruppe deutscher Patrioten und Antifaschisten mit Orden der UdSSR aus. Der Rotbannerorden wurde Adam Kuckhoff, Kurt Fischer, Ilse Stöbe, Harro Schulze-Boysen, Arvid Harnack und Hans-Heinrich Kummerow verliehen. Mit dem Orden des Vaterländischen Krieges Erster Stufe wurden Karl Behrens, Günther Weisenborn, Albert Hößler und andere ausgezeichnet. Der Orden des Vaterländischen Krieges Zweiter Stufe wurde acht Personen und der Rotsternorden fünf Personen verliehen. Viele deutsche Patrioten wurden postum geehrt.

Im Auftrag des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR überreichte der Außerordentliche und Bevollmächtigte Botschafter der UdSSR in der DDR, P. A. Abrassimow, am Montag auf einem Festakt in der sowjetischen Botschaft den Verwandten der ums Leben gekommenen deutschen Antifaschisten die hohen Auszeichnungen der UdSSR. Die sowjetischen Orden für die Patrioten, die keine Verwandten haben, wurden dem Staatsrat der DDR zur Aufbewahrung übergeben.

Bei der feierlichen Überreichung in der sowjetischen Botschaft waren anwesend: Erich Honecker, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK, Albert Norden, Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK. Alexander Abusch, Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates, Otto Gotsche, Sekretär des Staatsrates, Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit, Oskar Fischer, Stellvertreter des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, und andere offizielle Persönlichkeiten.

In seiner Rede wies Botschafter P. A. Abrassimow auf die hervorragenden Verdienste der tapferen deutschen Patrioten und Internationalisten und ihre selbstlose Beteiligung an dem gemeinsamen Kampf mit der Sowjetunion zur Befreiung der vom Hitlerfaschismus versklavten Völker hin. Die Organisation Schulze-Boysen/Harnack, sagte P. A. Abrassimow, nimmt einen besonderen Platz in der deutschen Widerstandsbewegung ein, nicht nur, weil sie zahlenmäßig stark war, sondern auch weil sich in ihr zum entschlossenen Kampf mit dem deutschen Faschismus Vertreter der verschiedensten Klassen und Schichten der deutschen Bevölkerung vereinten: Kommunisten und Parteilose, Gläubige und Atheisten, Arbeiter und Ingenieure, Schriftsteller, Beamte, Offiziere und Soldaten. Der sowjetische Botschafter betonte, daß die Organisation eine leuchtende Verkörperung der Ideen der einheitlichen antifaschistischen Front war, für die die Kommunistische Partei Deutschlands unter Führung von Thälmann kämpfte.

Im Namen der Verwandten der ums Leben gekommenen Antifaschisten, die die hohen sowjetischen Auszeichnungen in Empfang nahmen, dankte der Sohn der Patrioten Hans und Hilde Coppi, der im Gefängnis geboren wurde und dessen Eltern von den Faschisten hingerichtet wurden, in ergreifenden Worten.


Ansprache von Botschafter Abrassimow

"Liebe Genossen Honecker, Norden, Abusch, Mielke, Gotsche, Fischer!

Liebe deutsche Genossen und Freunde!

Die schweren Jahre des vom deutschen Faschismus entfesselten Krieges werden der Menschheit immer in Erinnerung bleiben. Niemals werden die Opfer des Faschismus und die in der großen Schlacht um die Befreiung der Menschheit von der Gefahr der faschistischen Knechtschaft gefallenen Helden vergessen werden. Einen besonderen Platz unter den Millionen antifaschistischer Kämpfer nehmen die deutschen Antifaschisten ein, die in Deutschland selbst gegen den Nazismus gekämpft haben.

Wir haben uns heute hier versammelt, um einer Gruppe edler, tapferer Kämpfer des deutschen antifaschistischen Widerstands, deren Namen für ewig nicht nur im Gedächtnis des deutschen Volkes, sondern auch der Völker der Sowjetunion und der ganzen freiheitsliebenden Menschheit bleiben werden, Gefühle tiefer Achtung auszudrücken.

Mir wurde die große Ehre zuteil, im Namen des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR die hohen Orden der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu überreichen, mit denen einige Teilnehmer der heute bereits weltbekannten antifaschistischen Widerstandsorganisation Schulze-Boysen/Harnack ausgezeichnet wurden.

Zu unserem tiefen Bedauern sind die meisten Ausgezeichneten von der Hand der Nazihenker gefallen. Sie starben als Helden. Die Orden werden daher ihren nächsten Verwandten überreicht werden, von denen viele selbst aktive Widerstandskämpfer waren.

Die Organisation Harro Schulze-Boysen/Arvid Harnack nimmt einen besonderen Platz in der deutschen antifaschistischen Widerstandsbewegung ein, nicht nur weil sie zahlenmäßig stark war, sondern auch weil sich in ihr zum entschlossenen Kampf gegen den deutschen Faschismus Vertreter der verschiedenen Klassen und Schichten der deutschen Bevölkerung vereinigten: Kommunisten und Parteilose, Gläubige und Atheisten, Arbeiter und Ingenieure, Schriftsteller und Beamte, Soldaten, Offiziere, Hausfrauen.

Diese Organisation war eine leuchtende Verkörperung der Ideen der einheitlichen antifaschistischen Front, für die die Kommunistische Partei Deutschlands unter der Führung von Ernst Thälmann kämpfte.

Harro Schulze-Boysen war ein Offizier, der aus einer bekannten preußischen Offiziersfamilie stammte.

Arvid Harnack war ein Wirtschaftswissenschaftler und Jurist, der aus der Familie eines bekannten Literaturhistorikers stammt. Adam Kuckhoff war ein bekannter deutscher Schriftsteller. Ilse Stöbe – eine Mitarbeiterin des Außenministeriums, Hans-Heinrich Kummerow – ein Chemieingenieur.

Aktive Kämpfer der Gruppe waren die Schriftsteller Walter Küchenmeister und Günther Weisenborn, die Künstlerin Oda Schottmüller und der Bildhauer Kurt Schumacher, der Ingenieur Karl Behrens, die Arbeiter Hans Coppi, Kurt Schulz, Gräfin Erika von Brockdorf und andere.

Höchste Achtung verdienen die Frauen vieler heldenhafter Kämpfer dieser Organisation: Mildred Harnack, Libertas Schulze-Boysen, Margarete Kuckhoff, Ingeborg Kummerow, Hilde Coppi, Elisabeth Schumacher und andere.

Wir freuen uns, unter uns die tapfere Gefährtin Adam Kuckhoffs, eines aktiven Kämpfers, die hochgeachtete Margarete Kuckhoff, begrüßen zu können, die an vielen gefährlichen Aktionen der Organisation beteiligt war.

Die Bedeutung der Organisation Schulze-Boysen/Harnack besteht auch darin, daß alle ihre Kämpfer noch eine gemeinsame Idee verband, die das Hauptziel ihres Kampfes war: Deutschland muß an ständigem Frieden und Freundschaft mit der Sowjetunion leben und auf allen Gebieten mit ihr eng zusammenarbeiten.

Schon über die ersten Pläne Hitlers eines militärischen Überfalls auf die UdSSR informierten die Führer der Organisation unverzüglich die Vertreter der Sowjetunion. Im folgenden berichteten die Führer der Organisation alles, was über die Vorbereitungen Nazideutschlands für den Überfall auf die UdSSR bekannt wurde, nach Moskau. All das war ein großer Beitrag zu der großen Sache der späteren Zerschlagung des Nazismus.

In der ersten Periode der Aggression gegen die Sowjetunion, als es den Naziführern schien, daß es ihnen gelingen werde, das sowjetische Volk und danach auch andere Völker der Welt zu unterjochen, verteilte die Organisation Schulze-Boysen/Harnack in Berlin Flugblätter und Aufrufe mit der Warnung vor der unausbleiblichen Niederlage Hitlers. Der Glaube an den Sieg der Sowjetunion und die Gewißheit von dem Zusammenbruch des Naziregimes klangen auch aus den Erklärungen der Teilnehmer der Organisation an die faschistischen Schergen während der sogenannten gerichtlichen Untersuchung.

Ich möchte an die Worte des .Genossen Breshnew erinnern, die er hier in Berlin am 6. Oktober dieses Jahres anläßlich des 20. Jahrestages der DDR äußerte und die in vollem Umfange auch für die Mitglieder der Gruppe Schulze-Boysen/Harnack gelten:

'Die besten Söhne des deutschen Volkes – Kommunisten und Antifaschisten – blieben in all den Jahren des zweiten Weltkrieges trotz Terrors und Verfolgungen, trotz Folterungen in faschistischen Gefängnissen und Konzentrationslagern dem proletarischen Internationalismus und ihrer Liebe zur Sowjetunion als Heimat des Sozialismus treu. Darin sahen sie ihre höchste patriotische Pflicht, die höchste Bekundung der Liebe zu ihrem eigenen Volk.'

Infolge der Zerschlagung des Naziregimes entstand in einem Teil Deutschlands die Deutsche Demokratische Republik – der erste Staat der deutschen Werktätigen. In Westdeutschland haben dagegen die ehemaligen Nazi- und Kriegsverbrecher Asyl gefunden, die ihren Einfluß auf die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland ausüben. Der neue Nationalismus in Westdeutschland kann die Menschheit in eine noch größere Tragödie stürzen.

Ebendeshalb drückten die Repräsentanten der dem Warschauer Vertrag angehörenden sozialistischen Bruderländer auf dem Treffen, das Anfang dieses Monats in Moskau stattfand, die einmütige Meinung darüber aus, das die in der BRD fortdauernden gefährlichen Erscheinungen des Revanchismus und die Aktivierung der neonazistischen Kräfte nicht außer acht gelassen werden dürfen und daß ihnen gegenüber ständig die gebotene Wachsamkeit geübt werden muß.

Die wahren Patrioten des deutschen Volkes, von denen es nicht wenige in Westdeutschland gibt, treten immer aktiver im Kampf mit dem Neonazismus auf. Daher hat der Festakt, an dem wir teilnehmen, nicht nur historischen, sondern auch aktuellen Charakter. Die Sache der Patrioten der Organisation Schulze-Boysen/Harnack setzen neue deutsche Patrioten fort.

Auf Grund einiger Erwägungen werden nicht alle Namen der mit sowjetischen Orden ausgezeichneten Teilnehmer der Widerstandsorganisation Schulze-Boysen/Harnack bekanntgegeben.

Gestatten Sie mir, den Erlaß des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Verleihung von Orden der UdSSR an die Teilnehmer der antifaschistischen Widerstandsbewegung in Deutschland zu verlesen. Ich habe die Ehre, den hierher eingeladenen Verwandten die Orden zu überreichen."

Neues Deutschland, 23. Dezember 1969, Seite 1 und 2


Neues Deutschland, 23. Dezember 1969, Seite 4 und 5.


V.l.n.r.: Orden des Roten Sterns, Orden des Vaterländischen Krieges Zweiter Stufe, Orden des Vaterländischen Krieges Erster Stufe, Rotbannerorden. Darunter das zugehörige Ordensband.

♦ Orden des Roten Sterns:
Rose Schlösinger, Oda Schottmüller, Anna Krauss, Dr.-Ing. Ehrhard Tohmfor und Richard Weißensteiner (S. 5)

♦♦ Orden des Vaterländischen Krieges Zweiter Stufe:
Hans Coppi, Hilde Coppi, Horst Heilmann, Klara Schabbel, Else Imme, Emil Hübner, Frida Wesolek geb. Hübner und Stanislaus Wesolek (S. 5)

♦♦♦ Orden des Vaterländischen Krieges Erster Stufe:
Kurt Schulze, Kurt Schumacher, Elisabeth Schumacher, Dr. Mildred Harnack, John Graudenz, Karl Behrens, Erika von Brockdorf geb. Schönfeld, Ingeborg Kummerow, Albert Hößler und Günter Weisenborn (S. 4 u. 5)

♦♦♦♦ Rotbannerorden:
Dr. jur. et phil. Arvid Harnack, Harro Schulze-Boysen, Dr. Adam Kuckhoff, Dr.-Ing. Hans-Heinrich Kummerow, Ilse Stöbe und Dr. h.c. Kurt Fischer (S. 4)

Auf Grund "einiger Erwägungen" wurden nicht alle Namen der mit sowjetischen Orden ausgezeichneten Teilnehmer der Widerstandsorganisation Schulze-Boysen/Harnack bekanntgegeben. (S.2)

Bild rechts: Der Rotbannerorden war ein relativ hoher militärischer Orden der UdSSR. Josef Stalin gefiel er so gut, dass er ihn sich dreifach verleihen ließ. Auf dem idealisierten Gemälde sieht man auch das rot-weiß-rote Ordensband.


Dokumente zur Roten Kapelle in der Bibliothek der CIA

Vernehmungsprotokoll von Manfred Roeder vom 22. April 1947. PDF 920 KB
Ermittlungsbericht Rote Kapelle des CIC vom 13. Mai 1948. PDF 2 MB
Überlebende der Roten Kapelle. PDF 15 MB
Hingerichtete der Roten Kapelle. PDF 877 KB
Finck-Studie. PDF 14 MB
Manfred Roeder: Die Rote Kapelle (Übersicht und Index). PDF 939 KB
Manfred Roeder: Die Rote Kapelle (Übersetzung). PDF 5,8 MB

In einer VVN-Broschüre von 1948 *) wird auf S. 26 eine Hanni Kaminski als hingerichtetes Mitglied der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe erwähnt. In der Finck-Studie steht auf Seite 45, dass dies ein Irrtum war und diese Frau nach dem Krieg immer noch am Leben war.

In derselben Broschüre *) wird auf S. 26 und S. 85 ein Dir. Thuestedt als hingerichtetes Mitglied der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe erwähnt. In der Finck-Studie steht auf Seite 74, dass man diese Person schon vor Jahrzehnten vergeblich zu ermitteln versucht hat.

Der Lüneburger Staatsanwalt Hans-Jürgen Finck ermittelte ab 1948 gegen Manfred Roeder, der in den Reichskriegsgerichtsprozessen gegen die Rote Kapelle die Anklage vertreten hatte. In diesem Zusammenhang entstand die Finck-Studie, die sich in der Bibliothek der US-amerikanischen Central Intelligence Agency (CIA) befindet.

*) Klaus Lehmann (Bearbeiter): Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack, Zentrale Forschungsstelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN, Berlin 1948, S. 18 u. 26. Faksimileausgabe der Seiten 3 bis 27 und 86 bis 88. PDF 1,7 MB.


Der Stern, Heft 18, 6. Mai 1951, S.14

Das Thema dieses Tatsachenberichtes ist zweifellos eines der "heißesten Eisen", mit denen sich eine Zeitung in Deutschland heute beschäftigen kann. Wenn man das über ganz Europa gebreitete Netz der sowjetischen Spionage darstellen will, dann kommt man um eine Aufrollung des Falles "Rote Kapelle" nicht herum. Unter diesem Namen wurde mitten im Kriege die entscheidende Agentengruppe des Kreml in Deutschland ausgehoben und abgeurteilt. Die Namen ihrer Mitglieder, von denen eine Reihe hingerichtet wurde, erschienen nach 1945 in den Ehrenlisten der Widerstandskämpfer gegen Hitler. Manche entgingen dem Urteil, manche entgingen der Bestrafung, manche wurden bei Kriegsende befreit. Einige bekleiden heute, dank ihrer angeblichen Verdienste als Widerstandskämpfer, hohe und höchste Ämter in der Deutschen Demokratischen Republik jenseits, oder in der Deutschen Bundesrepublik diesseits des Eisernen Vorhangs.

Wir werden die Namen dieser Leute nicht verschweigen. Nicht einen.

Aber wir werden auch niemanden angreifen, dem wir nicht hierdurch die Möglichkeit anbieten, im STERN zu seiner Rechtfertigung zu sagen, was er für richtig hält. An der gleichen Stelle, in der gleichen Schrift und im gleichen Umfang, in dem wir uns mit seiner Person beschäftigt haben.

Da die Frage nach der Tendenz dieses Berichtes früher oder später auftauchen wird, sei eines vorweggenommen. Wir haben noch nie die Geschäfte einer politischen Partei oder einer politischen Gruppe wahrgenommen, und wir tun es auch diesmal nicht. Wir achten die Freiheit der politischen Überzeugung - und auch das Recht auf den politischen Irrtum.

Wir ehren die Männer und Frauen, die unter Hintansetzung ihrer Freiheit und ihres Lebens gegen Hitler kämpften, um Deutschland zu retten. Aber wir meinen, daß derjenige, der für die Sowjets arbeitete, kein Recht hatte, sich seines Kampfes gegen die Nazis zu rühmen. Der Hochverräter, der um einer sauberen politischen Idee willen gegen das herrschende System arbeitet, hat auf die Achtung selbst seiner politischen Gegner Anspruch. Der Landesverräter, der mit dem Feind konspiriert, ist In allen Ländern der Welt, in allen Armeen und unter allen politischen Systemen noch immer als ein Lump angesehen und entsprechend behandelt worden.

Wenn der Wahnsinn in einem Lande regiert,- und ein Widerstand von innen her sinnlos geworden ist, dann mag es in einzelnen Fällen keinen anderen Weg zur Rettung des eigenen Volkes geben als den, das Land zu verlassen und von außen her den Zusammenbruch der terroristischen Staatsgewalt im eigenen Lande zu bewirken. Denn das Volk und das Land sind wichtiger als alle Staatsgewalt. Auch der Arzt muß gelegentlich zu Giften greifen, um das Leben des Menschen zu retten.

Aber man kann Hitler nicht mit Stalin bekämpfen, wenn man nicht vom Regen in den Wolkenbruch geraten will. Wie wenig es den Leuten der "Roten Kapelle" um Hitler, und wie sehr es ihnen um die Bolschewisierung Deutschlands und der Welt zu tun war, das geht allein aus der Tatsache hervor, daß die kommunistische Agententätigkeit für Sowjetrußland mit dem Zusammenbruch des Naziregimes keineswegs beendet war. Das Netz spannt sich heute dichter denn je. War es gestern Hitler, ist es heute etwa Adenauer? Nein, es ist gestern wie heute der Befehl Lenins und Stalins, die Welt zu erobern für die rote Diktatur. Mit allen Mitteln und unter allen Vorwänden.

Noch eins, um allen Mißverständnissen vorzubeugen: Wir wollen keine neue Dolchstoßlegende verbreiten hellen. Deutschland hat den Krieg nicht verloren, weil Verrat seine Widerstandskraft ausgehöhlt halte. Auch nicht durch die Verräter der "Roten Kapelle". Und die verratenen Offensiven, bei denen die von ihren eigenen Landsleuten an die Sowjets verkauften deutschen Soldaten zu Tausenden in die Garben sowjetischer Maschinengewehre liefen, mögen auf den Gesamtverlauf des Krieges bezogen - auch wenn einiges anders gekommen wäre - die Zahl der Blutopfer nicht erhöht haben. Aber vielleicht würde der Graben, der Deutschland mitten entzwei schneidet, heute weiter östlich verlaufen, wenn es den Funkverkehr zwischen Berlin und Moskau, Paris und Moskau, Brüssel und Moskau, Hamburg und Moskau und so weiter nicht gegeben hätte.

Und sicher ist eins: Die Gefahr eines neuen Krieges und die Wahrscheinlichkeit, daß einmal Deutsche auf Deutsche schießen werden, wächst mit jedem roten Agenten, der mitten unter uns sein teuflisches Spiel treibt. Der Kommunismus ist nicht eine politische Anschauung wie jede andere auch, das wissen wir Deutschen am besten. Der Kommunismus ist nach außen Angriff bis zur Eroberung der ganzen Welt, nach innen ist er Terror und Unterdrückung. Es wird mit an uns liegen, ihn von außen zu bekämpfen, damit wir nicht nach innen geraten.

Wenn es je einen Kampf um unser Leben und um unsere Freiheit gegeben hätte, dann ist es dieser. Noch ist er mit friedlichen Mitteln zu gewinnen, mit Vernunft, Aufklärung und Wachsamkeit. Es geht dabei nicht um hochtrabende Phrasen und um weltanschauliche Ideen. Es geht einfach darum, daß, wenn morgens um 6 Uhr unsere Haustürglocke läutet - daß wir dann genau wissen, es kann nur der Milchmann sein oder ein harmloser Telegrafenbote, und nicht die NKWD, die Gestapo, der Staatssicherheitsdienst oder wie immer die verlängerten Arme unmenschlicher Diktatoren heißen mögen.


Verwendete Literatur

  • Biernat, Karl Heinz / Kraushaar, Luise: Die Schulze-Boysen/Harnack-Organisatiom im antifaschistischen Kampf. Berlin (Ost) 1970.
  • Coppi, Hans / Danyel, Jürgen / Tuchel, Johannes: Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Berlin 1994.
  • Coppi, Hans: Harro Schulze-Boysen - Wege in den Widerstand. Koblenz 1993.
  • Coppi, Hans: Die "Rote Kapelle" im Spannungsfeld von Widerstand und nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Der Trepper-Report vom Juni 1943. In: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Jahrgang 44 (1996), Heft 3, S. 431-458. PDF 1,4 MB
  • Coppi, Hans / Andresen, Geertje: Dieser Tod passt zu mir. Harro Schulze-Boysen - Grenzgänger im Widerstand. Briefe 1915 bis 1942. Berlin 1999.
  • Dallin, David J.: Die Sowjetspionage. Prinzipien und Praktiken. Köln 1956.
  • Feder, Klaus H. / Feder, Uta: Auszeichnungen im Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Rosenheim 1996.
  • Flicke, Wilhelm F.: Spionagegruppe Rote Kapelle. In freier Bearbeitung den Tatsachen nacherzählt. Kreuzlingen 1958 (3. Auflage, Erstauflage 1949).
  • Griebel, Regina / Coburger, Marlies / Scheel, Heinrich: Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Halle/Saale 1992.
  • Grosse, Heinrich: Ankläger von Widerstandskämpfern und Apologet des NS-Regimes nach 1945 - Kriegsgerichtsrat Manfred Roeder. In: Kritische Justiz 2005, S. 36-55. PDF 130 KB
  • Höhne, Heinz: Gegenschlag der deutschen Abwehr. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 24, S. 98-110.
  • Höhne, Heinz: Die Gruppe Schulze-Boysen/Harnack. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 25, S. 100-114.
  • Höhne, Heinz: Zwischen Widerstand und Landesverrat. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 26, S. 78-94.
  • Höhne, Heinz: Die Verhaftungsaktion der Gestapo. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 27, S. 80-90.
  • Höhne, Heinz: Das Ende der Gruppe Schulze-Boysen/Harnack. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 28, S. 60-72.
  • Höhne, Heinz: Kennwort Direktor. Die Geschichte der Roten Kapelle. Stuttgart/Hamburg 1971 (Erstausgabe Frankfurt 1970).
  • Kessemeier, Siegfried: Das Kunstwerk des Monats. Juli 1991. Münster 1991. PDF 3,6 MB
  • Koblank, Peter: Ist der Gestapo-Bericht zur Roten Kapelle eine Fälschung? Widerlegung der zehn Argumente von Ulrich Sahm. In: Online Edition Mythos Elser 2014.
  • Koblank, Peter: Rote Kapelle. Gestapo-Bericht über die Aufrollung der Spionage- und Widerstandsgruppen. In: Online Edition Mythos Elser 2014.
  • Kuckhoff, Greta: Rote Kapelle. In: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift. Berlin 1948, 4. Jahrgang, Heft 1, S. 30-37.
  • Kuckhoff, Greta: Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle. Berlin 1972.
  • Lehmann, Klaus (Bearbeiter): Widerstandsgruppe Schulze-Boysen/Harnack, Zentrale Forschungsstelle der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes VVN, Berlin 1948. Faksimileausgabe der Seiten 3 bis 27 und 86 bis 88. PDF 1,7 MB
  • Mommsen, Hans: Die "rote Kapelle" und der deutsche Widerstand gegen Hitler. Bochum 2012.
  • Nelson, Anne: Die Rote Kapelle. Die Geschichte der legendären Widerstandsgruppe. München 2009.
  • Nollau, Günther / Zindel, Ludwig: Gestapo ruft Moskau. Sowjetische Fallschirmagenten im 2. Weltkrieg. München 1979.
  • Perrault, Gilles: Die Geschichte des sowjetischen Spionageringes "Rote Kapelle". In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 21, S. 91-96.
  • Perrault, Gilles: Das Agenten-Netz in Belgien. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 22, S. 86-98.
  • Perrault, Gilles: Das Agenten-Netz in Frankreich. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 23, S. 72-86.
  • Perrault, Gilles: Die Jagd auf den Grand Chef. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 29, S. 72-80.
  • Perrault, Gilles: Das deutsche Funkspiel mit Moskau. In: Der Spiegel, Hamburg 1968, Heft 30, S. 79-90.
  • Perrault, Gilles: Auf den Spuren der Roten Kapelle. Wien 1989 (Erstauflage L'Orchestre rouge 1967).
  • Roeder, Manfred: Die Rote Kapelle. Aufzeichnungen des Generalrichters / Europäische Spionage. Hamburg 1952. Englische Übersetzung in der Bibliothek der CIA. PDF 5,8 MB
  • Ritter, Gerhard: Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung. Stuttgart 1954.
  • Roewer, Helmut: Die Rote Kapelle und andere Geheimdienstmythen. Spionage zwischen Deutschland und Russland im Zweiten Weltkrieg 1941-1945. Graz 2010.
  • Roloff, Stefan: Die Rote Kapelle. Die Widerstandsgruppe im Dritten Reich und die Geschichte Helmut Roloffs. München 2002.
  • Rothfels, Hans: Die deutsche Opposition gegen Hitler. Eine Würdigung. Frankfurt/Hamburg 1958.
  • Sahm, Ulrich: Rudolf von Scheliha 1897-1942. Ein deutscher Diplomat gegen Hitler. München 1990.
  • Schafraneck, Hans / Tuchel, Johannes (Hrsg.): Krieg im Äther. Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg. Wien 2004.
  • Schellenberg, Walter: Aufzeichungen. Die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler. München 1979.
  • Schulze-Boysen, Harro: Gegner von heute - Kampfgenossen von morgen. Berlin 1932.
  • Sudholt, Gert: Das Geheimnis der Roten Kapelle. Das US-Dokument 0/7708. Verrat und Verräter gegen Deutschland. Dillingen 1978.
  • Trepper, Leopold: Die Wahrheit. Autobiographie des "Grand Chef" der Roten Kapelle. Freiburg 1995.
  • Weisenborn, Günther: Der lautlose Aufstand. Bericht über die Widerstandsbewegung des deutschen Volkes 1933 - 1945. Hamburg 1962 (Erstauflage 1953).

Harro Schulze-Boysen. Rote Kapelle: Widerstand gegen Hitler und Spionage für Stalin.