In: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift. Berlin 1948, Aufbau-Verlag, 4. Jahrgang, Heft 1, S. 30-37
Polizeifoto nach ihrer Verhaftung (1942).
Wer war Greta Kuckhoff?
Einführung zu ihrem Aufsatz in der Zeitschrift "Aufbau" im Jahr 1948
Dr. rer. pol. Dr. h.c. Greta Kuckhoff (geb. Lorke; * 14. Dezember 1902 in Frankfurt (Oder); 11. November 1981 in Wandlitz) war als Mitglied der
Roten Kapelle eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus.
In der DDR war sie von 1950 bis 1958 Präsidentin der Deutschen Notenbank.
VON PETER KOBLANK (2014)
Greta Lorke war Tochter eines Musikinstrumentenmachers und stammte aus einfachen katholischen Verhältnissen. Nach dem Lehrerexamen im Jahre 1924
studierte sie Soziologie und Volkswirtschaft an den Universitäten Berlin und Würzburg und promovierte zum Dr. rer. pol.
Von 1927 bis 1929 studierte sie Soziologie an der University of Wisconsin-Madison, wo sie Arvid und Mildred Harnack kennenlernte. Von 1930 bis 1932 war sie
Mitarbeiterin des Aktienrechtlers Rosendorf in Zürich, danach 1933 wissenschaftliche Sekretärin am Institut für
Sozialforschung in Frankfurt am Main.
Bis 1942 arbeitete sie als freiberufliche Übersetzerin, u.a. für das von Joseph Goebbels geleitete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda.
Sie war 1939 an einer englischen Übersetzung von Adolf Hitlers Mein Kampf beteiligt und
glaubte, dadurch die britische Öffentlichkeit über Hitler aufklären zu können.
Sie war die dritte Ehefrau von Adam Kuckhoff, mit dem sie ab 1935 zusammenlebte. Aus der 1937 geschlossenen Ehe ging der Sohn Ule Kuckhoff hervor.
Ab 1939 hatte sie Kontakte zu dem Ehepaar Harro und Libertas Schulze-Boysen. Sie beteiligte sich gemeinsam mit ihrem Mann
sowohl an der Widerstandstätigkeit, als auch an der Spionagetätigkeit der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe, die von der Gestapo
Rote Kapelle genannt wurde. So transportierte und versteckte sie im Sommer 1941 ein Funkgerät, das ihr vom sowjetischen
Nachrichtendienst NKGB ausgehändigt worden war.
Greta Kuckhoff wurde am 12. September 1942 verhaftet und am 3. Februar 1943 vom Reichskriegsgericht wegen Beihilfe zum Hochverrat und Nichtanzeige eines Vorfalls der Spionage
zum Tode verurteilt. Das Todesurteil wurde im Mai aufgehoben und am 27. September 1943 vom Reichskriegsgericht in zehn Jahre
Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte wegen Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und zur Feindbegünstigung
umgewandelt, nachdem ihr Mann bereits im August in Plötzensee hingerichtet worden war. Sie war bis 1944 im Gerichtsgefängnis Berlin-Charlottenburg untergebracht,
danach im Frauenzuchthaus Cottbus und mim Zuchthaus Waldheim, wo sie beim Kriegsende am 8. Mai 1945 freikam.
Ihr Eintritt in die KPD wurde später auf 1935 zurückdatiert. Ab 1946 arbeitete sie in verschiedenen Wirtschaftsgremien mit. Sie war Mitglied des ersten und des zweiten Deutschen Volksrats (1948 und 1949)
und von 1954 bis 1958 Abgeordnete der Volkskammer. Ab 1950 war sie Präsidentin der Deutschen Notenbank, bis sie 1958 einer Säuberung Walter Ulbrichts zum Opfer fiel.
Ab 1964 war sie Vizepräsidentin des Friedensrats der DDR und Mitglied des Weltfriedensrats.
Sie wurde in der DDR u.a. ausgezeichnet mit: Clara-Zetkin-Medaille (1955), Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus (1958),
Vaterländischer Verdienstorden in Gold (1965), Ehrendoktor der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg (1973),
Karl-Marx-Orden (1980). Ihre Urne wurde 1981 in einem Ehrengrab im Berliner Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.
In Leipzig, Lützen, Berlin und Aachen sind nach Greta und Adam Kuckhoff Kuckhoffstraßen benannt, in Magdeburg der Kuckhoffplatz.
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Zusammen mit Adolf Grimme und Günther Weisenborn versuchte Greta Kuckhoff zwischen 1945 und 1951 ohne Erfolg, juristisch gegen Manfred Roeder vorzugehen, der
in den Prozessen des Reichskriegsgerichts gegen die Rote Kapelle der Anklagevertreter gewesen war.
Auch andere Überlebende der Roten Kapelle wie Günter Weisenborn, Adolf Grimme oder Heinrich Scheel haben über ihre Erlebnisse geschrieben.
Greta Kuckhoff war jedoch direkt im Zentrum der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe gestanden. Daher ist ihr Aufsatz von 1948, der hier vollständig wiedergegeben ist,
von seinem Informationsgehalt her eher enttäuschend.
Auf die Spionage für den sowjetischen Nachrichtendienst geht sie nur sehr verschleiert ein. Sie spricht von einer "Arbeit mit den Sendern, durch die der Kampf
drinnen und draußen verbunden werden sollte" und erwähnt, dass einige ihrer Gruppe "Kameraden empfingen, die mit Fallschirmen abgesetzt waren."
Die regelmäßigen Berichte, die Arvid Harnack über eine "Vielfalt wirtschaftlicher Vorgänge, die andern verschlossen blieben," für Moskau ausarbeitete,
waren laut Kuckhoff zur Aufklärung der Bevölkerung bestimmt und seien "besonders in die Betriebe geleitet" worden.
Auch über die Widerstandsarbeit erfährt man wenig Konkretes: Handzettel, Schriften und eine Zeitschrift Die innere Front seien verfasst worden,
über deren "technische Verarbeitung bis zum System der Verbreitung" sie und ihr Mann aber angeblich nichts wussten. –
Warum dieser Aufsatz, der die Erfolglosigkeit der Widerstandsaktivitäten überdeutlich macht, eigentlich die Überschrift "Rote Kapelle" trägt,
erschließt sich nur demjenigen, der bereits über Vorwissen zu diesem Thema verfügt.
Als die DDR ab Ende der 1960-er Jahre dazu überging, die Rote Kapelle
als "Kundschafterorganisation" für den sowjetischen Nachrichtendienst und Paradebeispiel für kommunistischen Widerstand im Dritten Reich zu feiern, schrieb Greta Kuckhoff
eine Autobiografie, in der sie etwas deutlicher auf diese Aspekte einging. Das 434 Seiten starke Buch erschien 1972 in Ostberlin
unter dem Titel "Vom Rosenkranz zur Roten Kapelle". Es war aber zuvor der Zensur des DDR-Kultusministeriums unterworfen worden,
sodass schwer zu beurteilen ist, welche Details authentisch sind, und ob die zum Teil sehr konstruiert wirkenden Dialoge tatsächlich
so stattgefunden haben.
Peter Koblank: Harro Schulze-Boysen. Rote Kapelle: Widerstand gegen Hitler und Spionage für Stalin, in: Online-Edition Mythos Elser.
Greta Kuckhoff:
Rote Kapelle
In: Aufbau. Kulturpolitische Monatsschrift. Berlin 1948, Aufbau-Verlag, 4. Jahrgang, Heft 1, S. 30-37
Es war der erste wolkenlos schöne Frühlingstag im März 1933. Ich saß auf den Stufen des Britischen Museums in London.
Mein Auftrag, die soziologischen Forschungsmethoden, die englische Wissenschaftler entwickelt hatten, an Ort und Stelle kennenzulernen, machte mir Freude,
die ersten praktischen Erfolge einer selbständigen wissenschaftlichen Arbeit sahen ermutigend aus.
Eine Depesche bereitete dieser friedlichen Beschäftigung mit theoretischen Problemen ein jähes Ende: Das Seminar für Soziologie
in Frankfurt am Main – an dem ich bald als Dozentin hatte arbeiten wollen – war geschlossen worden, die Bücher waren öffentlich verbrannt:
Der Nationalsozialismus wollte nicht Erkenntnis, sondern Herrschaft. Der Haß gegen die fortschrittlichen Geistesarbeiter war offensichtlich. Es war
eine kurze, aber bis an den Kern der Dinge vorstoßende Prüfung, der ich meine Arbeit und mich unterzog. Ich hatte gewußt, daß die
Auseinandersetzung kommen würde: Auf Grund langjähriger Erfahrungen in vielen Ländern, mit Hilfe wissenschaftlicher Analysen hatte ich die
Triebkräfte der geschichtlichen Entwicklung zwar erkannt, aber nicht die Konsequenzen daraus gezogen, mich nicht handelnd und kämpfend dafür eingesetzt,
damit dies jetzt hätte verhindert werden können. Ich erkannte meine Liebe zu den rein theoretischen Fragen als das, was sie war: eine Flucht vor der
Wirklichkeit mit ihren oftmals harten Entscheidungen. Jetzt konnte es nur einen Entschluß geben: an dem Kampf teilzunehmen, den gewiß alle
die organisieren würden, die sich einen klaren politischen Blick und Verantwortungsbewußtsein bewahrt hatten. Ich selbst hatte nie einer Partei
angehört, konspirative Arbeit war mir nur aus Schilderungen in anderen Ländern bekannt. Aber es konnte nicht schwer sein, den Anschluß zu finden.
Darüber war ich mir klar: Gerade aus den Kreisen der politischen Parteien, die offen gegen das drohende Unheil gekämpft hatten, würden die Aktivisten verhaftet
oder in die Emigration getrieben werden. Jeder einzige, der unbelastet war, würde zählen, mußte also zurück nach Deutschland.
So kam ich im Mai 1933 nach Berlin. Ich traf als ersten Adam Kuckhoff wieder, meinen späteren Mann. Ich traf Harnacks – Arvid und Mildred –, die ich aus
gemeinsamen Studienjahren in den Vereinigten Staaten kannte, jedoch ohne von ihrer politischen Einstellung gewußt zu haben. In kleinen Kreisen, zu denen
vor allem wissenschaftlich und künstlerisch interessierte Männer und Frauen gehörten, diskutierten wir manche Grundfrage: Gibt es eine absolute
Freiheit des geistigen Schaffens, gleichgültig unter welcher Regierungsform? Wie sind die Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Zuständen und der
Möglichkeit der Wahrheitserforschung oder künstlerisch gültiger Gestaltung? Aus den allgemeinen Diskussionsgruppen lösten sich bald die, die
neben der Klärung grundsätzlicher Probleme auf aktiven Widerstand drängten. Dr. Arvid Harnack, der als Rockefeller-Fellow in den Vereinigten Staaten
ein Buch über die amerikanische Arbeiterbewegung geschrieben hatte, mußte seinen ursprünglichen Plan, an einer Universität zu lehren, aufgeben.
Durch meinen lieben langjährigen Freund. Dr. Hans Hartenstein, der damals noch, obwohl er der SPD angehört hatte, im Reichswirtschaftsministerium tätig
war, landete Harnack als Assessor in diesem Ministerium, wurde Regierungs- und später Oberregierungsrat, geschätzt und geachtet von allen, die mit ihm zu
tun bekamen. Arvid Harnack erhielt hier Kenntnis von einer Vielfalt wirtschaftlicher Vorgänge, die andern verschlossen blieben. Seine politische Überzeugung
und theoretische Schulung ermöglichten es ihm, diese Vorgänge so zu analysieren, daß sich das Ziel der Hitlerschen Wirtschaftspolitik klar ergab:
kein nationaler Sozialismus, sondern eine imperiale Großraumpolitik. So betrachtete Harnack es als seine erste Aufgabe, den Propagandamantel, der zur Täuschung
der Arbeiter diesen Vorgängen umgelegt wurde, abzustreifen und die gefährliche Tendenz aller Maßnahmen bloßzulegen. In jeder Woche wurde ein
solcher Bericht ausgearbeitet und durch die verschiedenen Bekannten in die ihnen zugänglichen Kreise, besonders in die Betriebe geleitet, um die Widerstandswilligkeit
und -kraft breiter Schichten nicht durch allgemeine Redensarten, sondern an Hand von konkretem Material wachzuhalten. Mildred Harnack-Fish, gebürtige Amerikanerin,
die als Dozentin an der Universität und dem Abendgymnasium Vorlesungen über moderne amerikanische Literatur hielt, und ich (die zwar ihren Lebensunterhalt
mit juristischen Übersetzungen verdiente, jedoch gleichfalls Zugang zu der Literatur anderer Völker hatte) bemühten uns, sozialkritische Abschnitte
aus im Ausland erschienenen Werken zu finden und zu übertragen, die einen frischen Wind in die Kerkerluft, die über Deutschland lag, bringen konnten.
Unsere Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus war entschieden und klar. Unser Vertrauen, daß die deutsche Arbeiterschaft den Betrug an den eigenen
sozialistischen Zielen erkennen und das Joch mit gesammelter Kraft abschütteln würde, war groß. Wir versuchten zuerst, in den uns zugänglichen
Kreisen die Gegner des bestehenden Regimes herauszufinden und uns über ihren Einfluß, ihre Aktivität, die Klarheit ihrer Zielsetzung ein nüchternes
Bild zu machen. Dann begann die Werbung unter den meist jüngeren Menschen, die sich bei persönlicher Bekanntschaft, in Vorlesungen und Seminaren, als kritisch
und aufgeschlossen erwiesen. Es gab gar nicht wenige, die trotz der Propaganda in BDM und HJ, getrieben von der Unruhe eines nicht abgestumpften Gewissens, das
Verwerfliche in der Theorie wie das Verbrecherische in der Praxis des Nationalsozialismus erkannten. Manch schwerer innerer Kampf mußte in ihnen durchgekämpft
werden, weil Ideal und Wirklichkeit nirgends in Einklang zu bringen waren. Die klassischen Werke der großen sozialistischen Denker waren in den seltensten Fällen
greifbar. Es war kein leichtes Unternehmen, die verschlungenen Fäden der nationalsozialistischen Propaganda zu entwirren und aufzuzeigen, wie der Tod auch hinter
solchen Maßnahmen stand, die dem Volk einen neuen Wohlstand zu bringen versprachen. Am schwersten wurde dies, als den Maßnahmen Hitlers, die den Ablauf der
später folgenden Ereignisse konsequent vorbereiteten, von vielen ausländischen Staatsmännern kein Widerstand entgegengesetzt wurde. Wir wußten, daß
unzufriedene Vertreter diplomatischer Kreise, der Geistlichkeit, der freien Berufe, vor allem der alten Gewerkschaften mit ausländischen Stellen die Verbindung nicht
abreißen ließen und zu einer klaren und dadurch vielleicht schon wirksamen Haltung rieten. Es gab genügend Vertreter des Widerstandes, die damals der
Meinung waren: Je schneller es zum Kriege treibt, umso eher wird der Spuk ein Ende haben, ja, ohne einen Krieg gäbe es bei dem fein ausgebauten Spitzel- und brutal
benützten Unterdrückungssystem keine Befreiung.
Von uns wünschte keiner einen Krieg. Wir waren nicht der Meinung, daß er die einzige Chance sei, Deutschland von der Terrorherrschaft zu befreien.
Jeder, dem es um das wirkliche Wohl des eigenen und der ändern Völker ging, mußte den Krieg ablehnen oder höchstens als letzten Ausweg sehen.
Uns schien es vielmehr notwendig, daß die großen Mächte den allerersten Versuchen Hitlers, seine Großraumpolitik vorzubereiten, energisch Halt geboten.
Die Festigkeit ihrer Haltung hätte den Widerstandskämpfern innerhalb Deutschlands die Kraft gegeben, den klar als richtig erkannten Weg weiterzugehen und trotz der
hohen, nicht vermeidbaren Opfer die Arbeit der verschiedenen Gegnergruppen zu koordinieren. Der Widerstand und die Befreiung waren ein deutsches Problem, das niemand für
uns lösen konnte, auch Rußland nicht. Gewiß hat niemals jemand von uns verlangt, unsere Entscheidungen durch eine andere Erwägung bestimmen zu lassen als
die, die Befreiung des eigenen Volkes ins Werk zu setzen und den Weg für eine fortschrittliche Entwicklung freizulegen.
Hier war Deutschland. Es war trotz seiner fortschrittlichen Arbeiterbewegung, trotz der stark verwurzelten Gewerkschaften in eine Barbarei zurückgefallen,
die alle Arbeit von Jahrhunderten zu zerstören drohte. Draußen aber zog man es vor, Hitler eher als eine ärgerlich lächerliche Figur hinzustellen,
anstatt frühzeitig auf seine Gefährlichkeit hinzuweisen. Das war der Grund, warum ich den Entschluß faßte, "Mein Kampf" ins Englische
übertragen zu helfen, damit man sich ein richtiges Bild der verbrecherischen Kräfte machen konnte, die dabei waren Europas Frieden zu unterminieren. Es war
eine quälende Arbeit. Als sie herauskam, grollte der Krieg bereits in bedenklicher Nähe.
Unterdessen verfolgte mein Mann die geistige Bewegung in Deutschland in Philosophie, Wissenschaft und Kunst, um sich einen nüchternen überblick über die
Kräfte zu verschaffen, die die kulturzerstörende Politik des Nationalsozialismus – gleich aus welchen weltanschaulichen Gründen – ablehnten.
Als Lektor eines großen Verlages, als Helfer mancher junger Schriftsteller sah er nur immer wieder: die Entschiedenen sahen sich – wollten sie weiterschaffen
– gezwungen, auszuwandern. Der größte Teil aber glaubte in einer Art von "magischem Realismus", die "ewigen Werte" über die schlimme
Zeit hinwegretten zu können. Diejenigen, die trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus sich zum Bleiben entschlossen und ihre Federn –
mutig oder voll List – zur Waffe machten, mußten wie z. B. Ernst Niekisch oder Rudolf Pechel, im Zuchthaus oder KZ Federn spleißen oder Steine schleppen.
Ich glaube, es gab nicht viele, die sich selbst so unausweichlich befragten wie Adam Kuckhoff. Auch er glaubte zuerst, durch seinen Roman "Der Deutsche von Bayencourt",
später durch Kurzgeschichten und Essays wenigstens eins erreichen zu können: das politische Bewußtsein der Leser wachzuhalten und ihren Blick zu schärfen.
Es war eine Situation von echter Tragik: Ein Mann in den fünfziger Jahren, zu reich und vielfältig begabt für Handeln
und Gestalten, um früh genug die menschliche Reife zu gewinnen, die jeder schöpferischen Arbeit, wenn sie nicht aus der
Besessenheit, sondern aus der Einsicht in die Wahrheit fließt, zugrunde liegen muß, war eben in die fruchtbarste Jahreszeit seines Lebens getreten. Und nun mußte
er erkennen, daß einzig die Zukunft ihm Raum für sein Dichtertum ließ und daß eben diese Zukunft in ihrer primitivsten Form gefährdet war durch
die sich von Monat zu Monat immer klarer abzeichnenden Folgen der nationalsozialistischen Politik. Wir hatten uns noch eine beachtliche marxistische Literatur erhalten können.
Er las sie mit dem beständigen Bemühen, die dort gefundenen
Einsichten mit unsern Gegenwartsproblemen in Beziehung zu setzen. Es gehört zu meinen größten Erlebnissen, daß ich sein Ringen um Klarheit miterleben durfte,
grad weil man in Deutschland so leicht unter Suchern nach der Wahrheit Menschen versteht, die sich in die Tiefe wühlen, statt zur Klarheit, die verpflichtet, aufzusteigen.
In den Mittelpunkt seines Denkens und Lebens rückte er die politische Arbeit. Wir nahmen über John Sieg, einen früheren Mitarbeiter der "Tat", die Kuckhoff
von 1928 bis 1930 herausgegeben hatte, die Verbindung mit den Arbeitern in den Betrieben auf, denn allein mit ihnen und durch sie konnte der Weg zu einer fortschrittlichen Entwicklung
freigelegt werden. Gleichzeitig suchte Adam Kuckhoff eine neue Zusammenarbeit mit Adolf Grimme, einem Freund aus der Studienzeit, der als sozialdemokratischer Kultusminister
natürlich entlassen war, trotzdem aber mit wachsender Wachheit den Ereignissen, besonders in kultureller Hinsicht, folgte und alte politische Verbindungen pflegte.
Die Bereitschaft, mit allen Gegnern des Nationalsozialismus in einer gemeinsamen Front zu arbeiten – ohne die natürlich weiterbestehenden Gegensätze weltanschaulicher
und politischer Art als trennend anzusehen –, mußte überall dort wachsen, wo man die Entwicklung aufmerksam verfolgte. Denn – die Zahl der aktiven Gegner war
im Vergleich zu den aktiven Nationalsozialisten winzig, die der Mitläufer für den Fall einer Auseinandersetzung zwar größer, aber doch gering, verglichen
mit den Mitläufern auf der ändern Seite. War das das Ende der illegalen Arbeit? Mußte man Deutschland abschreiben, da ein Erstarken der Einsicht mit den
lächerlich wenigen vorhandenen Werbungsmitteln nicht zu erreichen war? Wir waren keine Märtyrer, die ihr Leben so gering achteten, daß sie es für eine
Sache, deren Erfolg mehr als fraglich war, sinnlos hingeben wollten. So forderten wir von uns zuerst, daß der Versuch unternommen werden muß, nach der Lehre, die uns
der "listenreiche" Odysseus mit seinem Trojanischen Pferd erteilte, die nationalsozialistischen Organisationen von innen her zu bekämpfen. Aber es gehörte
keine lange Erfahrung dazu, um bald festzustellen, daß ein solches Unternehmen unter den Verhältnissen in Deutschland nie und nimmer zu verwirklichen war. Es
gab mehr Spitzel und Denunzianten als Unzufriedene und Ablehnende, die man gewinnen konnte. Die Ernte an ehrlich zum Widerstand Bereiten war so gering, daß der kleine
Erfolg die großen Gefahren und das Mißtrauen niemals rechtfertigen konnte, das durch einen solchen scheinbaren Verrat – er mußte ja täuschend echt
durchgeführt werden, sollte er erfolgreich sein – in den fortschrittlichen Kreisen entstehen mußte. Es ist schwer zu beurteilen, wie weite Kreise von dem Material
Kenntnis erhielten, das allein unsere Gruppe herstellte, bei der Thema und Art der Schriften, Handzettel und andere Arten von Werbung beraten, Analysen durchgeführt und in
weiten Kreisen verständlichem Stil geschrieben wurden. Von der technischen Verarbeitung bis zum System der Verbreitung erhielten wir keine Kenntnis, weniger noch von dem Echo,
das diese Arbeit weckte, oder gar von konkreten, sichtbaren Erfolgen. Mein Mann hatte einen Aufruf an alle Kopf- und Handarbeiter gerichtet, nicht gegen das überfallene
Rußland zu kämpfen, sondern sich und Deutschland endlich in letzter Stunde zu befreien und im Kampf um den Fortschritt, um den Frieden und die Freiheit unter anderen
Völkern mitzuwirken. Nach einer Mitteilung, die uns zuging, soll diese eindringlich warnende Schrift reißende Abnahme gefunden haben Man hätte kaum genügend
Material, sie so oft, wie angefordert, zu vervielfältigen.
Die Frage, ob es einen Sinn hatte, brennt manchmal mit schmerzender Schärfe. – Der Krieg wurde weiter in Rußlands Gebiete hineingetragen. Wenn wir auch
wußten, daß an vielen Stellen einzelne den Waffenrock trugen, die, um dem Sturz ins Chaos, entgegenzuwirken, im Heere selbst um Besinnung und Gegenwehr warben:
Hitlers Politik wurde weiter – begeistert oder widerwillig – durchgeführt.
Eine Zeitung "Die Innere Front" erschütterte die Kommissare im Reichssicherheitshauptamt so, daß sie lange mit mir über die Wahrheit und
Berechtigung der Artikel diskutierten und mir erklärten, auch sie seien keineswegs mit allem einverstanden, sie, die Aktivisten, würden nach dem Krieg auf eine durchgreifende
national sozialistische Umstellung innerhalb der deutschen Wirtschaft dringen. Hätte ich die Wirkung unserer Arbeit nach
der Einschätzung ihrer Gefährlichkeit
durch die Untersuchungskommission beurteilen wollen, der Krieg hätte bald zu Ende gehen, die Widerstandsarbeit erfolgreich sein müssen.
Uns liegt eine Urteilsbegründung aus unserem Prozeßkomplex vor:
"Der Oberregierungsrat Dr. Harnack und der Oberleutnant Schulze-Boysen hatten es verstanden, in Berlin eine Schar von Personen aus den verschiedenen Gesellschaftsschichten
um sich zu versammeln, die ihrer staatsfeindlichen Einstellung kein Hehl machten. Diese Personen waren zum Teil früher Mitglieder der alten KPD, zum andern Teil neigten sie
eigenen sozialistischen Gedankengängen zu: ihre Einstellung gegenüber dem nationalsozialistischen Staat war negativ: einige von ihnen waren noch immer fanatische Anhänger des
Kommunismus. Sie führten ihre Diskussionen, wobei marxistische und leninistische Literatur besprochen wurde, zunächst in kleinen Zirkeln, in die sie vorwiegend
jugendliche Menschen der verschiedensten Gesellschaftsschichten hineinzuziehen verstanden. Sie verfaßten Aufsätze und Berichte, die zur Schulung im eigenen
kleinen Kreis dienten; darüber hinaus verfaßten und verbreiteten sie Hetzschriften kommunistischen Inhalts, in denen sie die Staatsregierung angriffen und
schmähten, Wenn sich die Beteiligten auch nach Abschluß des deutsch-russischen Paktes vom 13.8.1939 zunächst eine gewisse Zurückhaltung auferlegten,
so setzten sie nach Beginn des russischen Feldzuges (22.6.1941) ihre zersetzende Tätigkeit in verstärktem Maße fort. Mit ihrer Propaganda suchten sie insbesondere die Künstler,
Wissenschaftler, die Polizei und die Wehrmacht zu gewinnen. In ihren zahlreichen Schriften und Broschüren vertraten sie immer wieder den Gedanken, daß nur das Zusammengehen mit dem
Bolschewismus die Eigenstaatlichkeit des Reiches retten könne."
Es ist eine der noch immer verbreiteten Legenden, daß die deutschen Kommunisten während der Dauer des deutsch-russischen Paktes mit dem Nationalsozialismus paktierten.
Während der Zeit des Paktes hat die Arbeit in keiner Weise geruht, aber die Ereignisse mußten durchdacht und berücksichtigt werden. Wir wußten,
daß hier politische Dinge vor der Entscheidung standen, die von äußerster Tragweite waren. Hier waren neue Möglichkeiten, mit denen wir vorher
nicht gerechnet hatten. Wir nutzten sie, um das Bild von Rußland, das durch die Goebbelssche Propaganda geprägt war und das zugleich den Kommunismus
überhaupt erledigen sollte, zurechtzurücken. Die moderne Literatur des großen Arbeiter- und Bauernvolkes, seine fast kindlich ernste Bereitschaft, die
großen Kulturwerke der Vergangenheit pflegend zu erhalten, seine für uns Deutsche überraschende Selbstkritik, sein fester Wille, endlich einen Zustand
herbeizuführen, in dem dem Schaffenden das Geschaffene zu seinem Wohlergehen überlassen bliebe, aber auch der aufgezwungene Kampf, um seine Bestrebungen gegen
innere und äußere Feinde überhaupt durchführen zu können – einiges davon konnten wir unser Volk wissen lassen. Gewiß auch hier mit
Schwierigkeiten, aber Buchbesprechungen, geschickte Artikel- und Photoauswahl erlaubten doch, die falschen Informationen ein wenig richtigzustellen. Der Kampf gegen den
nationalsozialistischen Terror hörte deshalb keinen Augenblick auf. Wir wußten genau, daß Hitlers Intentionen gegen den Sozialismus gerichtet waren und
daß sich damit der letzte Akt eines tragisch selbstverschuldeten Schicksals vorbereitete. Weil uns Deutschlands Eigenstaatlichkeit für die weitere fortschrittliche
Entwicklung in der Welt wichtig erschien, weil wir unser Vaterland, mit dem wir in Sprache, Lebensgewohnheiten, Geschichte und Kultur verbunden waren, liebten, konnten wir,
als der Krieg gegen Rußland begann, der schwersten Entscheidung nicht länger ausweichen. Selbst jetzt erhoben die Arbeiter sich nicht,
kehrten sie nicht in heiligem Zorn ihre Waffe gegen den wirklichen Feind, dem es nicht um das deutsche Volk, sondern um die eigene Macht ging. Sie ließen einen Krieg zu,
der nur Berauschten und Verwirrten Sieg versprechen konnte und unweigerlich in der Vernichtung und Zertrümmerung Deutschlands enden mußte. Eine Hoffnung blieb:
Der Nebel der Propaganda, die Angst vor dem Henker würden schwinden, wenn die bereits nüchtern zu berechnenden Rückschläge, die kommen mußten,
einsetzten und wenigstens ein kleiner Teil des Volkes den Irrsinn des staatlichen Selbstmordes erkennen konnte. Damit die zum Wiederaufbau Deutschlands nötigen
wirtschaftlichen und politischen Kräfte nicht völlig erschöpft, seine Bevölkerung nicht dezimiert und demoralisiert nach einem totalen Zusammenbruch
zurückbliebe, mußte so schnell wie möglich der Siegeszug gestoppt und ein heilsamer Schock die Deutschen zur Vernunft bringen. Alle unsere Informationsquellen
aus der Leitung der Wehrmacht konnten, solange der Siegeszug anhielt, nur melden, daß kein Wille vorhanden sei, von dorther dem drohenden Schicksal entgegenzuarbeiten
und die schäumenden Pferde vor Hitlers Siegeswagen zurückzureißen, ehe er das ganze Volk in eine grausige Vernichtung riß. Wir hörten, daß
man in jenen Kreisen der Wehrmacht, die Hitlers Politik ablehnten, nicht zur Tat entschlossen war, "weil man eine neue Dolchstoßlegende fürchtete".
Uns schien es unverantwortlich, das deutsche Volk einer Furcht zu opfern.
Wie konnte man sein Gewissen vor einer Schuld legende bewahren wollen, wenn man so klar wie diese informierten Kreise wissen mußte,
was uns an Grauen bevorstand. Wir hörten von den wechselnden Plänen, die zögernd verschoben wurden, bis sie dann in allerletzter Stunde fehlschlugen.
Nein, hier durfte sich niemand bewahren, wollte er sich nicht mit schwerer Schuld belasten. Der Kampf mußte gemeinsam mit den sozialistischen und demokratischen
Kräften, die die Waffen in der Hand hatten, geführt werden. Es galt, außer den deutschen Arbeitern,
auch die sogenannten Fremdarbeiter zu gewinnen und zusammenzufassen. Der scheinbare Siegeszug durch fremde Länder zerstampfte unsere Zukunft. Jede Fabrik,
die in Polen, in Frankreich oder Rußland
vernichtet wurde, zerstörte zugleich unsere Wirtschaftskraft. Die Verbrechen der SS-Bataillone in den besetzten Gebieten warfen ihre Schatten über ganz
Europa, und in ihrem Dunkel würde unser Land begraben werden.
Um das zu verhüten, begann die Arbeit mit den Sendern, durch die der Kampf drinnen und draußen verbunden werden sollte: Es gab für alle, die die Freiheit
liebten, in der ganzen Welt nur ein Ziel:
Dem nationalsozialistischen Terror ein Ende zu bereiten. Einige unserer Gruppe empfingen Kameraden, die mit Fallschirmen abgesetzt waren, und leiteten sie weiter.
Sie taten das, was getan werden konnte, mit Umsicht und schonten sich dabei nicht. Jeder einzelne davon liebte sein Volk und dessen für den Fortschritt wirkende
Kräfte mehr als sich selbst – es war der einzige noch offene Weg, Deutschlands Eigenstaatlichkeit zu erhalten, wie es in der Urteilsbegründung heißt.
Alles Zögern, auch das Letzte – und das Leben ist nicht das Letzte – einzusetzen, war in diesem Augenblick wirklicher Landesverrat. Gerade Arvid Harnack
– wohl der klarste politische Kopf dieser Gruppe – wußte, daß nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus der Sozialismus uns nicht in den
Schoß fallen würde, daß wir erst einmal den Anschluß an die bürgerlich fortschrittliche Ordnung würden finden müssen, um dann mit
aller Kraft und Klarheit auf demokratischer Grundlage für den Sozialismus zu kämpfen. – Ich kann nicht sagen, wie wichtig und bedeutsam die Arbeit
meiner Kameraden und Freunde war. Eine Wertung mag späteren Berichterstattern vorbehalten bleiben.
Im September 1942 gelang es dem Reichssicherheitshauptamt, durch die Aufdeckung mit den üblichen technischen Hilfsmitteln – immerhin nach neunjähriger
Betätigung! – den ganzen Kreis zu verhaften. Schulze-Boysen war der erste. Unsere Freunde Harnacks waren zur Erholung nach Ostpreußen gefahren,
Adam Kuckhoff war gerade in Prag, um einen Kulturfilm fertigzustellen. Mich traf es in Berlin.
Mit aufgepflanztem Seitengewehr wurden die ersten 13 Hauptangeklagten gefesselt vor Gericht gebracht. Sie alle starben, wie sie gelebt hatten, zutiefst von der
Richtigkeit ihres Weges überzeugt – gnädig bewahrt davor, mitzuerleben, daß trotz aller Mühen die Befreiung von innen heraus nicht gelang
und fast drei Jahre nach der Niederlage die Frage Deutschland in seiner primitivsten Existenz steht.
Am 3. Februar 1943 hatten wir beide, mein Mann und ich, des Todesurteil entgegengenommen. Bis in den Sommer wartete mein Mann in Plötzensee, ob die Waage des
Lebens oder des Todes sich senken würde. Professor Werner Kraus, der Adam vorher nicht gekannt hatte, schreibt von dieser Zeit: "Ich wechselte manchmal ein
paar Worte mit Kuckhoff in der Freistunde. Er machte einen gedämpften und in sich abgeschlossenen Eindruck. Niemals zuvor waren mir andere Menschen so wichtig
gewesen wie jetzt, während Kuckhoff den Eindruck eines in die Innerlichkeit endgültig verzogenen Menschen machte." Er selbst schrieb von sich: "Ich
erlebe jetzt alles mit einer ungekannten Intensität gegenständlich. Jeder Augenblick ist mir gegenwärtig, so lebensnah, wie man es wohl nur sein kann,
wenn man den Tod vor und – hinter sich hat." Domkapitular Buchholz, der ihn noch in der Sterbestunde sah, aber berichtet, daß er voll schöpferischer
Pläne war bis zum letzten Augenblick, wo er uns als Abschiedsgruß das Leitwort seines Till Eulenspiegel: "Fröhlich bestehn!" übermitteln ließ.
Der vorstehende Aufsatz ist für eine Sammlung "In tyrannos, Beiträge zur Geschichte des Hitler-Deutschland 1933-1945" (Greifen-Verlag, Rudolstadt)
bestimmt, die Beiträge von Johannes R. Becher, Paul Lobe, Gerhart Pohl, Albrecht Schaeffer, Reinhold Schneider, Ernst Wiechert u. a. enthalten wird.
Greta Kuckhoffs Beitrag trägt mit Absicht autobiographischen Charakter. Aufbau
Polizeifoto aus dem "Berliner Gestapo-Album zur Roten Kapelle" von 1942/43. Dies beinhaltet 108 derartige Dreifachfotos von Verhafteten der Roten Kapelle.
Das Album hat den Zweiten Weltkrieg im Keller der zerbombten Gestapozentrale in der Prinz-Albrecht-Straße in Berlin überstanden, wo es kurz nach
Kriegsende entdeckt wurde. In der DDR lag es im Zentralen Parteiarchiv der SED. 1992 wurde es der Öffentlichkeit vorgestellt.