Sophie Scholl: Vernehmungsprotokoll
Szene aus dem Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund (2005): Sophie Scholl (Julia Jentsch) bei der Vernehmung vom 18. bis 21. Februar 1943 in der Gestapo-Leitstelle in München durch Kriminalobersekretär Robert Mohr (Alexander Held).
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Sophie Scholl, die im Protokoll auch als Sofia Scholl bezeichnet wird, wurde nach ihrer vorläufigen Festnahme zusammen mit ihrem Bruder am 18. Februar 1943 gegen 11.00 Uhr in der Universität sogleich in der Münchener Staatspolizeileit-stelle vernommen.
Geheime Staatspolizei, München
II A/Sond./Mo.
Zur Person:
Die bereits angegebenen Personalien sind richtig. Ich bin in Forchtenberg, LA. Öhringen/Württemb. geboren, wo mein Vater Berufsbürgermeister der Gemeinde (Stadtgemeinde) Forchtenberg war. Gemeinsam mit 4 Geschwistern (2 Brüdern und 2 Schwestern) wurde ich im Elternhaus erzogen. Eine weitere Schwester von mir ist im Alter von einem Jahr an Lungenentzündung gestorben. Bis zum Jahre 1930 besuchte ich die Volksschule in Forchtenberg bis zur 2. Schulklasse. Im gleichen Jahr übersiedelten meine Eltern nach Ludwigsburg/Wttbg., da mein Vater nach Ablauf seiner Amtsperiode in Forchtenberg nicht mehr als Bürgermeister gewählt wurde. In Ludwigsburg besuchte ich die Volksschule bis zur 4. Schulklasse. Mein Vater war während unseres Aufenthalts in Ludwigsburg vom Jahre 1930 bis 32 Angestellter einer Treuhandgesellschaft in Stuttgart. Im Jahre 1932 verzogen meine Eltern nach Ulm, wo mein Vater als Mitinhaber in eine Treuhänder-Firma eintrat, welches Geschäft von meinem Vater 1933 als Alleininhaber übernommen wurde. In Ulm besuchte ich die Mädchenoberschule bis zur Prima-Reife (Abitur). Nach Erreichung der Prima-Reife (März 1940) besuchte ich ein Jahr lang das Kindergärtnerinnenseminar (Fröbelseminar) in Ulm. Um für alle Fälle einen Zivilberuf zu haben, habe ich im Frühjahr 1941 mein Staatsexamen als Kindergärtnerin bei dem angegebenen Seminar abgelegt. Als Prüfungsnote erhielt ich gut = 2.
Anschließend meldete ich mich freiwillig in den weiblichen Arbeitsdienst, wurde Anfang April 1941 zum Arbeitsdienstlager 13/122 nach Krauchenwies bei Sigmaringen eingezogen, wo ich bis Oktober desselben Jahres die vorgeschriebene Arbeitsdienstzeit ableistete. Gleich anschließend kam ich bis Ende März 1942 in das Kriegshilfsdienstlager nach Blumberg in Baden, wo ich in einem Kinderhort der NSV Blumberg eingesetzt war.
Inzwischen entschloss ich mich, Naturwissenschaft und Philosophie zu studieren, weshalb ich mich erstmals zum Sommersemester 1942, das Ende April begann, bei der Universität München einschrieb. Im 2. Semester höre ich nunmehr die Vorlesungen der Prof. v. Fritsch, v. Faber, Gerlach, Huber und Buschor.
Zur Bestreitung meines Lebensunterhalts und Studiums erhalte ich von meinem Vater monatlich einen Betrag von 150,- RM. Irgendwelche Stipendien oder Unterstützung von anderer Seite erhalte ich nicht. Das Einkommen meines Vaters dürfte sich auf mehr als 1500,- RM belaufen, weshalb es ihm nicht schwer fallen dürfte, mein Studium zu bestreiten. Mein Bruder, der in München nun im 9. Semester Medizin studiert, bedarf keiner weiteren Unterstützung seitens der Eltern, da er seine Löhnung als Sanitätsfeldwebel bezieht, womit er sowohl seinen Lebensunterhalt als auch sein Hörgeld bezahlen kann.
Mein Vater war meines Wissens parteipolitisch vor der Machtübernahme in keiner Weise gebunden. Soviel weiß ich jedoch, dass er demokratisch eingestellt ist, d. h. die Meinung vertritt, dass die Völker demokratisch regiert werden müssten, sofern sie die notwendige Reife hierzu besäßen. Wenn ich über die politischen Gedankengänge meines Vaters richtig unterrichtet bin, schwebt ihm eine demokratische Regierungsform mit gewissen Vollmachten vor. Wohl aus dieser Grundeinstellung heraus ist mein Vater gegen den Nationalsozialismus als solchen bzw. gegen die heutige Staatsführung eingestellt. Hier möchte ich jedoch besonders erwähnen, dass uns (Kinder) mein Vater bei der Erziehung nie in demokratischem Sinne beeinflusst hat. So hat mein Vater ohne weiteres geduldet, dass wir der Hitlerjugend beitraten und dort Dienst verrichteten. Ich selbst trat im Januar 1934, damals 13-jährig, in die Jungmädelschaft der HJ ein und gehörte der HJ bzw. dem BDM bis 1941 an. Etwa im Jahre 1935 wurde ich Jungmädelschaftführerin, 1936 Scharführerin und 1937/38 Gruppenführerin. Wegen Differenzen mit der Obergauführerin des BDM, Obergau 20, Obergauführerin Schönberger, habe ich mein Amt als Gruppenführerin niedergelegt. Bei diesem Zerwürfnis handelte es sich um eine rein innerdienstliche Angelegenheit des BDM ohne jeden politischen Hintergrund.
Nach meiner Amtsniederlegung ließ ich mich aus der Jungmädelschaft in den BDM übernehmen, wo ich bis kurz vor meinem Staatsexamen als Kindergärtnerin Dienst verrichtete. Den BDM-Dienst habe ich ziemlich regelmäßig besucht. In diesem Zusammenhang gebe ich ganz ehrlich zu, dass ich in den letzten 2 Jahren meiner Zugehörigkeit zum BDM mit dem Herzen nicht mehr bei der Sache war. Die erste Abneigung gegen den BDM war darauf zurückzuführen, dass ich den Dienst langweilig und vom pädagogischen Standpunkte aus unrichtig fand.
Die Gründe von meiner weltanschaulichen Entfremdung vom BDM und damit der NSDAP, etwa im Jahre 1938, liegen in erster Linie darin begründet, dass meine Schwester Inge, meine Brüder Hans und Werner im Herbst 1938 wegen sog. bündiger Umtriebe von Beamten der Geheimen Staatspolizei verhaftet und einige Tage bzw. Wochen in Haft behalten wurden. Ich bin heute noch der Auffassung, dass das Vorgehen gegen uns sowie auch gegen andere Kinder aus Ulm vollkommen ungerechtfertigt war. Mein Bruder Werner gehörte etwa in den Jahren 1932/33, er war damals 10-12 Jahre alt, der bündischen Jugend an, was wohl der Grund war für das spätere Vorgehen gegen uns. Als weiteren und schließlich als hauptsächlichsten Grund für meine Abneigung gegen die Bewegung möchte ich anführen, dass nach meiner Auffassung die geistige Freiheit des Menschen in einer Weise eingeschränkt wird, die meinem inneren Wesen widerspricht. Zusammenfassend möchte ich die Erklärung abgeben, dass ich für meine Person mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben will.
Als ich im Mai 1942 zu Beginn des Semesters nach München kam, wohnte ich zuerst, da ich kein Zimmer fand, bei meinem Bruder Hans in München, Lindwurmstr. 13; im Juni zog ich bei der Frau Berrsche ein, Mandelstr. 1, seit 1. Dez. wohne ich in der Franz-Josef-Str. Nr. 13 bei Frau Schmidt in Untermiete, mit meinem Bruder; wir haben 2 Zimmer. Damit kein Irrtum entsteht, solange mein Bruder Lindwurmstr. 13 wohnte, befand ich mich bei Frau Berrsche.
Ich selbst habe in München nur eine Freundin, und zwar Frl. Gisela Schertling, Studentin der Germanistik, wohnhaft in München, Lindwurmstraße 13, bei Wertheimer. Diese lernte ich beim RAD in Krauchenwies kennen und pflege seitdem ständig Umgang mit ihr. Die politische Einstellung der Schertling deckt sich nicht mit der meinen, denn sie ist im Allgemeinen nationalsozialistisch eingestellt und ist von Haus aus zweifellos in diesem Sinne erzogen.
Mit Frl. Schertling komme ich fast täglich zusammen. Sie kam meistens zu uns in die Wohnung, und zwar nachmittags oder abends, sofern ich nicht Besuche bei ihr gemacht habe.
Bei meinem Bruder und mir verkehren weiter die Angehörigen der Studentenkomp. Willi Graf, Feldwebel, Student der Medizin, und Alexander Schmorell, Feldwebel, ebenfalls Student der Medizin. In beiden Fällen handelt es sich um Studienfreunde meines Bruders. Hans Schmorell lernte ich etwa vor einem Jahr durch meinen Bruder kennen. Im vorigen Sommer kam ich wöchentlich durchwegs 1-2-mal in die Wohnung des Schmorell, der bei seinen Eltern in München, Benediktenwandstr. (Nr. unbekannt), wohnte, um gemeinsam mit ihm zu arbeiten. Schmorell modellierte, während ich mich mit Zeichnen beschäftigt habe. Schmorell selbst halte ich politisch für ein unbeschriebenes Blatt, ein reiner Gefühlsmensch, der politischen Gedankengängen unzugänglich ist. In kultureller Hinsicht steht er dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüber, und zwar aus den gleichen Gründen wie ich.
Willi Graf kommt erst seit etwa 8 Wochen ab und zu in den Nachmittags- oder Abendstunden zu meinem Bruder und mir zu Besuch. Unser Zusammentreffen wie auch die Unterhaltung mit Graf war rein geselliger Natur. Soweit vorhanden, haben wir gelegentlich eine Flasche Wein zusammen getrunken, sangen Lieder, musizierten oder unterhielten uns in anderer Weise. Wenn ich recht orientiert bin, deckt sich die politische Auffassung des Graf mit der meinen bzw. mit der meines Bruders, ohne dies jedoch bestimmt behaupten zu können.
Sonstige Personen pflegten bei uns keinen ständigen Verkehr. Mein Bruder erhielt außer von den genannten Personen ab und zu mal kurzen Besuch von Personen, die mir auch vorgestellt wurden, die ich aber heute den Namen nach nicht mehr kenne.
Die in unserer Wohnung befindliche Schreibmaschine ist Eigentum unserer Wohnungsgeberin, Frau Schmidt. Vor etwa 14 Tagen haben wir diese Schreibmaschine im Wohnzimmer der Frau Schmidt in deren Abwesenheit entdeckt. Hier möchte ich erwähnen, dass Frau Schmidt sich nur selten in ihrer Wohnung in München aufhält, denn sie befindet sich zumeist wochenlang bei ihrer verh. Tochter (Name unbekannt) in Steinebach b. Landsberg a. L. Jetzt ist diese Frau seit 10 Tagen schon wieder bei ihrer Tochter. Es mag etwa 14 Tage her sein, als wir die Schreibmaschine der Frau Schmidt erstmals benützten. Es handelte sich um die Fertigung eines Aufsatzes über philosophische oder theologische Fragen, den mein Bruder, wie er dies auch vorher schon getan hatte, an Freunde und Bekannte an die Front schickte. Zu dem gleichen Zweck hat Schmorell vor einigen Wochen seine Reiseschreibmaschine zur Verfügung gestellt.
Heute Vormittag gegen 9 Uhr sind mein Bruder und ich aufgestanden. Ich habe uns zu Hause einen Tee gekocht, worauf wir gegen 10 1/2 Uhr unsere Wohnung verließen. Eigentlich hätte ich schon um 8 Uhr eine Vorlesung des Vertreters von Prof. Gerlach über Physik besuchen sollen, habe davon aber abgesehen, weil ich mich mal richtig ausschlafen wollte. Ich gehe nachts meistens erst um 12 oder 1 Uhr zu Bett, weil ich mich bis dahin mit meiner wissenschaftlichen Arbeit befasse oder Bücher lese und dergl. Mit Gisela Schertling hatte ich gestern Abend beim Abendessen im Seehaus (Englischer Garten) vereinbart, dass mich diese heute gegen 12 Uhr in meiner Wohnung abholen solle, um gemeinschaftlich die Mittagsmahlzeit einzunehmen. Diesen Plan habe ich gestern Abend nach einer Aussprache mit meinem Bruder aufgegeben und mich entschlossen, heute um 12 Uhr 48 mit dem Schnellzug nach Ulm zu fahren. Die Gründe für diese plötzliche Reise waren folgende:
Eine Bekannte unserer Familie namens Kley-Heilwig, wohnhaft in Geislingen a. St., Ehefrau des Lehrers Albert Kley, die aus Hamburg stammt, ist im vorigen Sommer mit der Bitte an meine Eltern herangetreten, sie möchten eine Freundin von ihr (Kley) aus Hamburg, die ein Kind erwarte, bei sich aufnehmen. Nach Einwilligung meiner Eltern kam diese Freundin der Kley, Ruth Düsenberg, led., Säuglingspflegerin, im Oktober 1942 nach Ulm, von wo sie nach Geburt ihres Kindes (29.11.42) am nächsten Freitag oder Samstag wieder nach Hamburg abreisen will. Weil ich Frl. Düsenberg und ihr Kind nochmals sehen wollte, beabsichtigte ich heute nach Hause zu fahren. Weil mein Geld zur Reise nach Ulm nicht ausgereicht hätte (ich hatte nur noch 7,- RM in meinem Besitz und die Fahrt dorthin kostet 7,40 RM), wollte mein Bruder vor meiner Abreise zur Bank gehen, dort Geld abheben und mir aushändigen. Bei welcher Kasse oder Bank mein Bruder ein Konto hat, weiß ich nicht, bekannt ist mir lediglich, dass sich die betreffende Bank oder Sparkasse gegenüber vom Holzkirchener Bahnhof befindet.
Schon vor dem Verlassen unserer Wohnung habe ich meinem Bruder gesagt, wir würden auf dem Weg zur Kasse bzw. zum Bahnhof an der Universität vorbeigehen, wo ich meine Freundin Gisela davon verständigen wolle, dass ich meinen ursprünglichen Plan geändert, nach Hause fahren werde, weshalb sie mich nicht zum Mittagessen abholen könne. Es war mir bekannt, dass Gisela Schertling die Vorlesung des Prof. Huber über Einführung in die Philosophie, die in einem Hörsaal stattfindet, der über eine Stiege im rechten Seitenbau zu erreichen ist, besuchte, und dass diese Vorlesung bis gegen 11 Uhr dauere. Beim Betreten des Universitätsgebäudes sind meinem Bruder und mir auf der Treppe zum 1. Stock verschiedene Studenten und Studentinnen begegnet, die gerade aus der Vorlesung des Prof. Huber kamen. Bei diesen Studenten habe ich die mir bekannte Studentin Traute Laffrenz aus Hamburg gesehen, die hier im 7. oder 8. Semester Medizin studiert. Die Laffrenz, die ich durch meinen Bruder seit etwa einem Jahr kenne, habe ich im Vorbeigehen gegrüßt und diese hat meinen Gruß erwidert, sie muss mich also gesehen haben. Als wir an den Hörsaal des Prof. Huber kamen, war die Vorlesung noch nicht beendet, weshalb ich mit meinem Bruder noch eine Treppe höher ging, um ihm das Psychologische Institut zu zeigen, wo ich öfters Vorlesungen besuche. Als wir im 2. Stock angelangt waren, bemerkte ich, dass auf dem Marmorgeländer, das den 2. Stock vom Lichthof abgrenzt, ein Stoß Flugblätter lag, der eine Höhe von ungefähr 5-6 cm hatte. Schon zuvor hatten mein Bruder und ich auf dem Flur des 1. Stocks solche Flugblätter gefunden, die auf dem Boden ausgestreut oder in unregelmäßigen Haufen umherlagen. Jeder von uns hat sich hier eines der Blätter aufgehoben, flüchtig gelesen, worauf wir die Flugblätter behielten. Mein Bruder, der über die Flugblätter lachte, steckte seines in die Tasche, währen ich meines in meine Mappe oder meine Manteltasche eingesteckt habe. Später hatte ich es jedenfalls in der Manteltasche stecken. Als ich die Flugblätter oben im 2. Stock auf dem Geländer aufgeschichtet liegen sah, wusste ich sofort, dass es sich hier um die gleichen Flugblätter handeln müsse, wie sie zuvor von mir und meinem Bruder auf der Treppe und im Flur im 1. Stock gefunden wurden. Im Vorbeigehen habe ich den auf dem Geländer aufgeschichteten Flugblättern mit der Hand einen Stoß gegeben, so dass diese in den Lichthof hinunterflatterten. Mein Bruder wurde auf diese Flugblätter erst aufmerksam, als sie bereits im Lichthof in der Luft flatterten. Ich sehe nun ein, dass ich durch mein Verhalten eine Dummheit gemacht habe, die ich aber nicht mehr ändern kann.
Jakob Schmid, Hausschlosser der Universität München, nahm die Geschwister Scholl fest. Quelle: Privatbesitz Angelika Strehler |
Frage: Als Sie von dem Hausschlosser der Universität heute Vormittag gegen 11 Uhr im Universitätsgebäude betroffen wurden, war Ihr Koffer vollkommen leer, was auffallen muss, zumal Sie sich angeblich auf dem Wege zum Bahnhof befanden, um nach Hause zu fahren. Was haben Sie dazu anzugeben?
Antwort: Vom 6. - Sonntag, den 14.2.43, hielt ich mich bei meinen Eltern in Ulm auf, habe auf der Rückfahrt von dort die Wäsche für meinen Bruder und mich mitgebracht und die schmutzige Wäsche von uns beiden am 6.2. mit nach Ulm genommen. Inzwischen hat es bei uns keine schmutzige Wäsche gegeben und auch etwas anderes hatte ich nicht zum Mitnehmen.
Frage: Wenn Sie erst vom 6.-14.2.43 in Ulm waren, also erst vor einigen Tagen nach München zurückkehrten, dann ist es vollkommen unverständlich, dass Sie nun nach wenigen Tagen einen Betrag von nahezu 15,- RM ausgeben, um angeblich nochmals Frl. Düsenberg mit ihrem Kind zu sehen, mit denen Sie doch erst vor Tagen zusammen waren.
Antwort: Mit meinen Eltern hatte ich bereits verabredet, am kommenden Freitag zu ihnen nach Ulm zu kommen, weil ich das Wochenende zu Hause verbringen wollte. Ich habe daher die Reise nach Ulm um einen Tag vorverlegt, um Frl. Düsenberg nochmals zu sehen. Außerdem besuchte uns gestern Nachmittag gegen 16 1/2 Uhr der Freund oder Verehrer meiner Schwester Inge, Otto Aicher, aus Ulm, der mir mitteilte, er wolle heute ebenfalls nach Ulm fahren, um den Rest seines Urlaubes dort selbst zu verbringen. Es war mir ferner bekannt, dass Aicher um 11 1/2 Uhr mit dem Personenzug von Solln hier eintreffen wird, weshalb ich ihn am Holzkirchner Bahnhof abholen wollte.
Frage: Sie haben im Laufe Ihrer Vernehmungen angegeben, auf dem Wege zur Universität keine Ihnen bekannten Personen gesehen zu haben, auf der Treppe zum 1. Stock in der Universität dagegen sei Ihnen die Medizinstudentin Traute Laffrenz begegnet. Haben Sie innerhalb der Universität nicht doch noch andere Ihnen bekannte Personen gesehen?
Antwort: Auf der Treppe zum 1. Stock ist mir außer der Laffrenz eine weitere Studentin aus Ulm begegnet, deren Name mir jedoch augenblicklich nicht mehr in Erinnerung ist. Ich habe dieses Frl. erstmals im Universitätsgebäude hier gesehen, weiß aber nicht, welche Vorlesungen sie besucht.
Frage: Können Sie sich nicht erinnern, innerhalb der Universität auch den Studenten Willi Graf gesehen zu haben?
Antwort: Einige Medizinstudenten in Uniform sind auf der Treppe zum 1. Stock an uns vorbeigegangen. Möglicherweise war Graf dabei, ohne dass ich ihn bemerkt habe. Soviel weiß ich bestimmt, dass Laffrenz und die andere Studentin aus Ulm, die uns auf der Treppe begegneten, sich bei jener Gruppe von Studenten und Studentinnen befanden, von denen einzelne bereits Flugblätter der hier infrage stehenden Art in der Hand hatten. Nachdem diese Studenten aus der Vorlesung des Prof. Huber kamen, dessen Hörsaal sich im 1. Stock befindet, muss ich annehmen, dass die Flugblätter bereits im 1. Stock verbreitet waren, bevor mein Bruder und ich die Treppe hinaufkamen.
Frage: Unterhalten Ihr Bruder und Sie regen Briefwechsel mit Freunden und Bekannten?
Antwort: Nein. Mein Bruder und auch ich bekommen verhältnismäßig wenig Post. Vielleicht alle 2 oder 3 Tage, manchmal auch in kürzeren oder längeren Zeitabständen erhält das eine oder andere von uns Post.
Frage: Wann kommt in der Regel die Früh- oder Nachmittagspost? Wo befindet sich Euer Briefkasten? Von wem wird der in der Regel entleert? Haben Sie heute Vormittag Post erhalten? Gegebenenfalls, wer hat sie aus dem Briefkasten geholt?
Antwort: Die Frühpost kommt in der Regel um 9 1/2 Uhr, die Nachmittagspost kurz nach 17 Uhr. Ein gemeinsamer Briefkasten für das Anwesen Franz-Josef-Str. 13, Gartenhaus, befindet sich an der Innenseite unserer Haustüre im Gartenhaus selbst. In diesen Briefkasten wird die Post für die Familie Langenlois, Familie Pichler, die Frau Schmidt und meinen Bruder und mich von der Außenseite aus eingeschoben. Im Allgemeinen wird der Briefkasten von der Frau Pichler entleert und die Post an die übrigen Hausgenossen verteilt. Da Frau Pichler seit etwa 8 Tagen beruflich außerhalb des Hauses tätig ist, haben wir seitdem den Briefkastenschlüssel, den Frau Pichler zuvor in Besitz hatte. Heute Vormittag gegen 1/2 10 Uhr habe ich im Briefkasten nach evtl. eingelaufener Post nachgesehen und festgestellt, dass für uns nichts eingetroffen war. Lediglich für Frau Pichler war ein Brief und eine Postkarte eingegangen, die ich aus dem Briefkasten nahm und im Hausflur auf unseren Garderobenständer legte (richtig, diese Post lag bei der Suchung auf dem Garderobenständer). Nach Entleerung des Briefkastens habe ich meinem Bruder mitgeteilt, dass für uns keine Post angekommen sei. Ob mein Bruder für heute Post erwartet hat, weiß ich nicht.
Als mein Bruder und ich heute Vormittag etwa um 10 Uhr 30 unsere Wohnung verließen, war der Hausbriefkasten bestimmt leer, denn ich hatte ja denselben etwa eine Stunde vorher entleert. Nach Entleerung des Briefkastens habe ich denselben wieder verschlossen und den Schlüssel innerhalb unseres Glasabschlusses zu noch anderen Schlüsseln, an einen Nagel gehängt. Beim Verlassen des Hauses um 10 1/2 Uhr verließen mein Bruder und ich zusammen die Wohnung. Während mein Bruder die Wohnungstüre verschloss, habe ich entweder im Hausflur oder an der Haustüre auf ihn gewartet.
Unser Hausbriefkasten hat an der Rückseite ein kleines Glasfenster. Wenn sich also Post im Kasten befindet, kann man diese von außen ohne weiteres sehen. Als ich gemeinsam mit meinem Bruder um die angegebene Zeit das Haus verließ, war der Briefkasten bestimmt leer, weil mir das im anderen Falle aufgefallen wäre.
Frage: Wer hat den Koffer vom Verlassen der Wohnung bis zu Ihrer Festnahme getragen?
Antwort: Vom Verlassen der Wohnung bis vor das Universitätsgebäude hat meines Wissens mein Bruder den Koffer getragen. Innerhalb des Gebäudes haben wir den Koffer abwechselnd getragen, genau weiß ich das nicht mehr.
Frage: Haben Sie in letzter Zeit Briefmarken gekauft, wenn ja welche Sorten, welche Mengen und bei welchem Postamt?
Antwort: Vor etwa 10 oder 12 Tagen habe ich beim Postamt 23 in der Leopoldstraße etwa zehn 12er, vielleicht fünf 6er, vier 4er und vier 8er Briefmarken gekauft, die ich inzwischen zusammen mit meinem Bruder vermutlich bis auf einen kleinen Rest, der sich in meinem Geldbeutel befinden muss, verbraucht habe.
Frage: Den Umständen nach, unter denen Sie im Universitätsgebäude angetroffen wurden, sind Sie dringend verdächtig, gemeinsam mit Ihrem Bruder die in Frage stehenden Flugblätter in Ihrem Koffer in das Universitätsgebäude gebracht und dort verbreitet zu haben. Es liegen eine Reihe von Tatsachen vor, die diesen Verdacht rechtfertigen. Ich gebe Ihnen den dringenden Rat, speziell auf diese Frage uneingeschränkt und ohne Rücksicht auf etwaige Nebenumstände, die Wahrheit zu sagen.
Antwort: Trotz ernster Vorhaltungen und Ermahnungen muss ich nach wie vor bestreiten, sowohl mit der Herstellung als auch mit der Verbreitung der infrage stehenden Flugblätter auch nur das Geringste zu tun zu haben. Ich sehe selber ein, dass eine Reihe von Verdachtsmomenten gegen meinen Bruder und mich sprechen und dass dann, wenn die richtigen Täter nicht gefunden werden sollten, dieser Verdacht unter Umständen an uns haften bleiben wird.
Frage: Es kann also keinem Zweifel unterliegen, dass Sie heute Vormittag beim Verlassen Ihrer Wohnung an der Haustüre des Gartenhauses auf Ihren Bruder warteten, der inzwischen die Wohnungs-Abschlusstüre zugeschlossen hat. Sie hätten es demnach doch sehen müssen, wenn noch weitere Post im Hausbriefkasten gewesen wäre bzw. wenn Ihr Bruder zu diesem Zeitpunkt etwas aus dem Briefkasten herausholte.
Antwort: Ich kann nur wiederholen, dass ich nicht gesehen habe, dass sich noch Post im Briefkasten befand. Wenn mein Bruder zu diesem Zeitpunkt etwas aus dem Briefkasten herausgenommen hätte, wäre mir das bestimmt aufgefallen, zumal er ja erst den Schlüssel hinter der Abschlusstüre im Wohnungsflur hätte holen und den Briefkasten aufschließen müssen. Außerdem hätte ich mich gegebenenfalls für diese Post evtl. interessiert, die ja auch an mich selbst hätte adressiert sein können. Beim gemeinsamen Weggehen vom Gartenhaus aus hat mein Bruder bestimmt keinen Brief geöffnet oder gar gelesen. Wenn dies der Fall gewesen wäre, müsste ich dies gesehen haben.
Aufgenommen: KOS. Anwesend: Verw. Ang.
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s.g.u.u.: |
Geheime Staatspolizei
Staatspolizeileitstelle München
Fortsetzung der Vernehmung der Beschuldigten Sophie Scholl
Nachdem mir eröffnet wurde, dass mein Bruder Hans Scholl sich entschlossen hat, der Wahrheit die Ehre zu geben und von den Beweggründen unserer Handlungsweise ausgehend die reine Wahrheit zu sagen, will auch ich nicht länger an mich halten, all das, was ich von dieser Sache weiß, zum Protokoll zu geben. Nochmals eingehend zur Wahrheit ermahnt, habe ich das folgende Geständnis abzulegen:
"Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland verloren ist, und dass jedes Menschenleben, das für diesen verlorenen Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer, die Stalingrad forderte, bewogen uns, etwas gegen dieses unserer Ansicht nach sinnlose Blutvergießen zu unternehmen.
Die ersten Gespräche, die sich mit diesem Problem befassten, fanden im Sommer 1942 zwischen meinem Bruder und mir statt. Eine Möglichkeit, diesem Lauf der Dinge entgegenwirken zu können, fanden wir vorläufig nur in einer Auseinandersetzung mit unseren ernst zu nehmenden Bekannten über das, was uns am tiefsten bewegte. Sehr bald mussten mein Bruder und ich einsehen, dass durch dieses Vorgehen unsererseits eigentlich nichts getan sei, das geeignet sein könnte den Krieg auch nur um einen Tag abzukürzen. Bei der gegenseitigen Aussprache mit meinem Bruder kamen wir schließlich im Juli vorigen Jahres überein, Mittel und Wege zu finden, auf die breite Volksmasse in unserem Sinne einzuwirken. Es tauchte damals auch der Gedanke auf, Flugblätter zu verfassen, herzustellen und zu verbreiten, ohne die Verwirklichung dieses Planes schon ins Auge zu fassen. Ob der Gedanke der Flugblattherstellung von meinem Bruder oder mir ausging, weiß ich heute nicht mehr genau. Etwa im Juni 1942 haben wir Alexander Schmorell, mit dem wir schon seit längerem befreundet sind und den wir gesinnungsmäßig für zugänglich hielten, ins Vertrauen gezogen. Hier möchte ich erwähnen, dass der Vater des Schmorell Deutsch-Russe und seine Mutter Russin ist (letztere ist bereits gestorben). Vor Ausbruch des Krieges gegen Sowjetrussland war Schmorell politisch vollkommen uninteressiert. Erst später, d. h. nach Beginn der Feindseligkeiten mit Russland, begann er sich für den Verlauf des Krieges zu interessieren, besonders für die militärischen Ereignisse. Schmorell hängt mit großer Liebe an Russland, obwohl seine Eltern seinerzeit aus Russland flüchten mussten, nach Deutschland emigrierten, hier die deutsche Staatsangehörigkeit erwarben, die auch der Sohn Schmorell heute besitzt. Wenn er auch innerlich ein absoluter Gegner des Bolschewismus ist, hegt er dennoch Gefühle für sein Vaterland, das ihn in politischer Hinsicht unsicher macht. Bei den ersten Besprechungen mit Schmorell hat dieser verschiedene Einwände gegen unsere Pläne erhoben, indem er darauf hinwies, das gäbe sich alles von selbst und bedürfe keines Zutuns. Wenn Schmorell sich schließlich bereit erklärte, mit uns der Verwirklichung unserer Pläne näher zu treten, dann in erster Linie deshalb, weil er politisch nicht nüchtern genug denkt und sehr begeisterungsfähig ist.
Nach vielen und langen Unterredungen über dieses Thema zwischen meinen Bruder und mir reifte im Dezember 1942 bei uns der Entschluss, ein Flugblatt zu verfassen, in größerer Zahl herzustellen und zu verbreiten. Schmorell hat wohl um diese Zeit von unserem feststehenden Plan gewusst, trat jedoch aktiv nicht in Erscheinung, sondern war vielmehr zuerst Mitwisser und Zuhörer.
Das erste Flugblatt mit der Überschrift "Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland. Aufruf an alle Deutsche!" und dem Schlußsatz "Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die Flugblätter!", hat mein Bruder zusammen mit mir verfasst, und zwar kurz nach Neujahr 1943. Der Text des Flugblattes in Form eines Probeentwurfs auf der Schreibmaschine haben wir "Alex" gezeigt, der den Inhalt hinnahm ohne irgendwelche Ergänzungs- oder Abänderungsvorschläge zu machen. Nachdem die Sache so weit gediehen war, bestand die nächstliegende Aufgabe darin, das nötige Abzugspapier, Briefumschläge und Matrizen beizuschaffen. Mein Bruder und ich machten uns auf den Weg und kauften in den hiesigen Papierwarengeschäften zusammen etwa 10 000 Blatt Abzugspapier, ferner zusammen etwa rund 2000 Briefumschläge. Weiter hat mein Bruder bei einem hiesigen Fachgeschäft einen neuen Vervielfältigungsapparat (Marke unbekannt) zum Preise von RM 200,- gekauft. Auch die Matrizen, etwa 20 Stück, hat mein Bruder gekauft.
Die Matrizen zu den einzelnen Flugblättern hat mein Bruder auf der Schreibmaschine, die uns "Alex" zur Verfügung stellte, in meinem Beisein geschrieben. Die Abzüge haben wir dann gemeinsam auf unserem Vervielfältigungsapparat hergestellt. Die Adressen wurden nur und zwar ausschl. von meinem Bruder und mir geschrieben. Ich benützte meistens die Schreibmaschine der Frau Schmidt und schrieb jene Adressen, bei denen Anrede, Name und Wohnort nicht untereinander, sondern auf dem Briefumschlag nach rechts abgestuft, niedergeschrieben sind. Mein Bruder dagegen benützte die Schreibmaschine des "Alex" und schrieb auf den Umschlägen Anrede, Name und Ort genau untereinander. Die notwendigen Adressen von Wien, Salzburg, Linz, Augsburg, Stuttgart und Frankfurt haben in der Hauptsache mein Bruder und ich im Deutschen Museum aus dem dort aufliegenden Adressbüchern der Städte, Jahrgänge 39-41, herausgeschrieben. Einmal hat auch "Alex" solche Adressen mit herausgeschrieben. Die Briefe mit Flugblättern zur Verbreitung in den Städten außerhalb Münchens haben wir in einem Zeitraum von etwa 14 Tagen postversandfertig gemacht und erst dann die Briefe an den einzelnen Orten aufgegeben. Am 25. Januar 1943 fuhr ich nachmittags um 15 Uhr mit dem Schnellzug nach Augsburg, wo ich eine Stunde später ankam. In einer Aktentasche führte ich rund 250 Briefe an in Augsburg wohnende Adressaten mit. Da etwa 100 dieser Briefe nicht frankiert waren, kaufte ich mir beim Bahnpostamt in Augsburg 100 Briefmarken à 8 Pfennig und habe die unfrankierten Briefe mit Marken versehen und bei der Bahnpost eingeworfen. Ungefähr die Hälfte der Briefe habe ich in den Schalterbriefkasten geworfen und die andere Hälfte in den Hausbriefkasten vor dem Postgebäude. Darnach fuhr ich am gleichen Abend um 20 Uhr 15 von Augsburg zurück nach München, wo ich mit dem um 21 Uhr 6 ankommenden Schnellzug eintraf. Am nächsten Vormittag (26.1.43), etwa um 6 Uhr, fuhr Schmorell mit dem Schnellzug über Salzburg, Linz nach Wien und hat auf der Strecke in Salzburg und Linz die Briefe für diese Städte aufgegeben und schließlich in Wien jene für Wien und Frankfurt. Für Salzburg waren 200, für Linz 200, für Wien 1000, für Frankfurt 300 hergerichtet. Nur die für Frankfurt bestimmten Briefe mussten noch frankiert werden. Ursprünglich beabsichtigten wir, auch die Frankfurter Briefe aus Portoersparnisgründen in Frankfurt selbst aufzugeben. Von diesem Plan kamen wir schließlich ab, weil wir errechneten, dass das Fahrgeld nach Frankfurt mehr ausmachte, als wir an Porto hätten sparen können, wenn jemand nach Frankfurt gefahren wäre. Aus diesem Grunde wurden die für Frankfurt bestimmten Briefe voll frankiert und von "Alex" in Wien aufgegeben. Die für Stuttgart bestimmten Briefe, zwischen 600 und 700 Stück, habe ich nach Stuttgart gebracht und dort aufgegeben. Ich fuhr am Mittwoch, den 27.1.43, um 16 Uhr 30 mit dem Schnellzug hier ab und traf um 19.55 Uhr in Stuttgart-Hauptbahnhof ein. Von den in einem kleinen Koffer mitgeführten Briefen, alle frankiert für den Ortsverkehr, habe ich noch am Abend des 27.1.43, alsbald nach meiner Ankunft, nicht ganz die Hälfte, zum Teil am Bahnhof und in Stuttgart Süd, in Briefkästen eingeworfen. Den Rest habe ich am 28.1.43 im Laufe des Tages in den Vororten von Stuttgart in Briefkästen geworfen. In der Nacht vom 27./28. hielt ich mich im Wartesaal 2. oder 3. Klasse auf. Übernachtet habe ich jedenfalls nicht. Die Rückreise nach München trat ich am 28.1.43 um 23 Uhr 25 an und kam in München am 29.1.43 um 3 Uhr 5 an. Weil um diese Zeit noch keine Straßenbahn ging, musste ich den Weg zu meiner Wohnung zu Fuß zurücklegen.
Wenn ich zuerst, wenn auch nur bei der Unterhaltung, angegeben habe, bei der Flugblattaktion in München in der Nacht von 28./29.gemeinsam mit meinem Bruder, die hier zur Verbreitung gelangten, etwa 2000 Flugblätter, ausgestreut zu haben, so muss ich nun zugeben, dass dies nicht richtig ist, denn in der Nacht v. 28./29.befand ich mich, während hier in München die Flugblätter ausgestreut wurden, auf dem Wege von Stuttgart nach München. Die Verbreitung bzw. Ausstreuung der Flugblätter in München wurde von meinem Bruder und Schmorell durchgeführt. Wie man mir mitteilte, haben beide abends am 28.1.43 um 11 Uhr mit der Verbreitung begonnen und bis kurz vor 4 Uhr etwa 2000 Flugblätter ausgestreut. Mein Bruder hat angeblich vom Bahnhof aus in nördlicher Richtung die Flugblätter verteilt, während Schmorell den südlichen Teil der Stadt bearbeitete.
Nach der mir bekannt gegebenen Beschreibung eines Mannes, etwa 30 bis 35 Jahre alt, etwa 1,70 m groß, schlank usw., der am Vormittag des 4.2.43 zwischen 7 und 8 Uhr im Hauptpostamt München in der Vorhalle Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland in dort aufliegende Telefonverzeichnisse gelegt haben soll, kann ich nur angeben, dass ich mir nicht denken kann, wer dies gewesen sein könnte, sofern nicht mein Bruder in Betracht kommt. Mein Bruder ist allerdings größer als 1,70 m, besitzt keinen grauen Gummimantel mit breitem Kragen und trug noch nie ein sog. Lippen- oder Menjou-Bärtchen. Auch aus meinen übrigen Bekanntenkreis ist mir niemand bekannt, auf den diese Beschreibung auch nur annähernd passen könnte.
Ich gebe auch zu, bei meinen Besorgungen in der Stadt, in der Zeit vom 30.1.-6.2.43 etwa, in 4 oder 6 Fällen Flugblätter der Widerstandsbewegung in Telefonkabinen, parkenden Autos etc. abgelegt zu haben. Wo dies im einzelnen war, weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls führte ich zu dem angegebenen Zweck bei meinen Gängen durch die Stadt jeweils einige Flugblätter in meiner Handtasche bei mir, um gegebenenfalls bei günstigen Gelegenheiten davon Gebrauch machen zu können.
Der Student Willi Graf, wohnhaft in München, Mandelstr. 1, war an der Herstellung und Verbreitung der Flugblätter in keiner Weise beteiligt. Ich nehme an, dass er von unserer Flugblattaktion Kenntnis hatte, muss jedoch erwähnen, dass er von mir nicht unterrichtet war. Aus Bemerkungen von ihm bei gelegentlichen Gesprächen habe ich geschlossen, dass er wissen musste und den Umständen nach angenommen hat, dass wir uns mit der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern befassen. An einzelne Bemerkungen solcher Art kann ich mich heute nicht mehr erinnern.
In München haben wir neuerdings etwa 1200 Flugblätter mit der Überschrift "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" in der Zeit vom 6.-15.2. vervielfältigt, die Briefumschläge bzw. Wurfsendungen mit Anschriften versehen und versandfertig gemacht. Bei dieser Arbeit hat neben meinem Bruder und mir Schmorell lediglich beim Zukleben der Briefe mitgewirkt. Den braunen Klebestreifen zum Verschließen der Wurfsendungen hat er zur Verfügung gestellt und die Wurfsendungen zugeklebt.
Auch bezüglich des Vorganges heute Vormittag in der Universität München möchte ich nun die Wahrheit sagen, wobei ich bekennen muss, dass diese Flugblätter durch meinen Bruder und mich in dem bei meiner Festnahme sichergestellten Koffer in die Universität gebracht und dort ausgestreut wurden. Es handelte sich meiner Schätzung nach um 1500-1800 Flugblätter mit der Überschrift "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" und etwa 50 Stück mit der Überschrift "Aufruf an alle Deutsche!". Diese Flugblätter transportierten wir zum größten Teil in dem erwähnten Koffer, aber auch die Aktentasche meines Bruders war mit solchen Flugblättern angefüllt. Innerhalb des Universitätsgebäudes trug mein Bruder den Koffer, während ich die Flugblätter an den verschiedensten Orten ablegte oder ausstreute. In meinem Übermut oder meiner Dummheit habe ich den Fehler begangen, etwa 80 bis 100 solcher Flugblätter vom 2. Stockwerk der Universität in den Lichthof herunterzuwerfen, wodurch mein Bruder und ich entdeckt wurden.
Ich war mir ohne weiteres im Klaren darüber, dass unser Vorgehen darauf abgestellt war, die heutige Staatsform zu beseitigen und dieses Ziel durch geeignete Propaganda in breiten Schichten der Bevölkerung zu erreichen. Unsere Absicht war ferner, in geeigneter Weise weiterzuarbeiten. Wenigstens vorerst und auch für später hatten wir nicht die Absicht, noch weitere Personen ins Vertrauen zu ziehen und zur aktiven Mitarbeit zu gewinnen. Dies schon deshalb nicht, weil uns dies zu gefährlich schien. Gerade diese Frage habe ich vor einiger Zeit mit meinem Bruder besprochen, kam jedoch nach Abwägung von Vor- und Nachteilen zu der Überzeugung, dass dies zu gefährlich sei.
Wenn die Frage an mich gerichtet wird, ob ich auch jetzt noch der Meinung sei, richtig gehandelt zu haben, so muss ich hierauf mit "ja" antworten, und zwar aus den eingangs angegebenen Gründen. Ich bestreite ganz entschieden, von dritter Seite gemeinsam mit meinem Bruder zu unserem Vorgehen veranlasst, aufgefordert oder finanziell unterstützt worden zu sein. Mein Bruder und ich haben vollkommen aus ideellen Gründen gehandelt und alle entstandenen Unkosten, die sich meiner Schätzung nach auf ungefähr 800-1000 RM belaufen haben dürften, aus eigener Tasche bestritten. Schmorell hat uns zur Durchführung der Flugblattaktion einen Betrag von 150 bis 200 RM geliehen, den wir im Laufe der nächsten Monate zurückerstatten wollten.
Den Vervielfältigungsapparat, welcher von meinem Bruder eigens zum Zwecke der Herstellung von Flugblättern gekauft wurde, haben wir vor 14 Tagen oder 3 Wochen in dem Atelier des Kunstmalers Eyckemeir, Leopoldstr. 38, Rckg., hinterstellt. Eyckemeir befindet sich z. Zt. als Architekt in Krakau und hat seit einiger Zeit das Atelier an den Kunstmaler Wilh. Geyer aus Ulm, Syrlinstr. Nr.?, vermietet. Geyer übergab uns den Schlüssel zu diesem Atelier, um dadurch in die Lage versetzt zu sein, unseren Freunden und Bekannten einige Bilder vorzuzeigen, die Geyer in diesen Räumen aufgehängt hat. Geyer hat keine Ahnung davon, dass wir unseren Vervielfältigungsapparat im Keller des erwähnten Ateliers hinterstellt haben. Hierzu kommt, dass sich Geyer nur einige Tage in der Woche zur Arbeit in München aufhält und die andere Zeit in Ulm tätig ist.
Zum Schlusse möchte ich noch erwähnen, dass unsere Mietgeberin, Frau Schmidt „gut nationalsozialistisch“ eingestellt ist und von unserem Tun und Treiben keinerlei Ahnung hat. Soweit notwendig, bitte ich, der Frau Schmidt und deren Tochter das Vorgefallene schonend beizubringen, zumal die Tochter Schmidt sich in gesegneten Umständen befindet und demnächst der Niederkunft entgegensieht. Ich möchte daher jede Aufregung bei diesen Leuten vermeiden.
Aufgenommen: Mohr KOS. Anwesend: [ohne Unterschrift] Verw.Ang.
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selbst gelesen u. unterschrieb.: Sophie Scholl |
II A/Sond./Mo. München, den 20.2.43
Fortsetzung der Vernehmung Sophie Scholl
Frage: Seit wann kennen Sie den San. Feldw. Willi Graf, in welchem Verhältnis standen Sie zu ihm und in welcher Weise war dieser an der Flugblattaktion beteiligt? Sie haben sich zu dieser Frage bei Ihrer früheren Vernehmung schon einmal kurz geäußert, es ist jedoch der dringende Verdacht gegeben, dass Sie gerade in diesem Punkte, aus welchen Gründen sei dahingestellt, noch nicht die volle Wahrheit gesagt haben.
Antwort: Feldwebel Graf habe ich erstmals gesehen und vielleicht auch kurz gesprochen, als mein Bruder Hans Scholl Mitte Juli 1942 zusammen mit der Studentenkomp. nach Russland abgestellt wurde. Zur Verabschiedung von meinen Bruder begab ich mich zum Ostbahnhof, wo mir Graf durch meinen Bruder vorgestellt wurde. Ob ich mich bei dieser Gelegenheit mit Graf unterhielt, weiß ich heute nicht mehr.
Graf hab ich dann erst wiedergesehen, nachdem er Mitte November 1942, wie auch die übrigen Angehörigen der Studentenkomp., aus Russland zurückgekommen war und sich wieder in München aufhielt. Die zweite Begegnung mit ihm erfolgte meines Wissens Anfang Dezember 1942, gelegentlich eines Konzerts, wo weiß ich nicht mehr.
Bis Ende Juli 1942 wohnte ich in München, Mandelstr. 1/1 b. Berrsche. Ich habe diese Wohnung aufgegeben, weil mir das zur Verfügung stehende Zimmer zu klein war. Andere Gründe, die mich zu einem Wohnungswechsel veranlasst hätten, waren nicht gegeben, schließlich nur noch, dass ich nach einer Gelegenheit suchte, mit meinem Bruder in ein und derselben Wohnung unterzukommen. Ich erwähne ausdrücklich, dass um die damalige Zeit von einer etwaigen Propaganda gegen den heutigen Staat zwischen meinen Bruder und mir in keiner Weise die Rede war. Um wieder auf mein früheres Zimmer im Hause Mandelstr. 1 zurückzukommen, muss ich noch hinzufügen, dass Graf nach seiner Rückkunft aus Russland ein Zimmer suchte und ihn mein Bruder auf mein früheres Zimmer Mandelstr. 1, aufmerksam machte, das um diese Zeit noch frei war, weil die Vermieterin eine weitere Vermietung gar nicht mehr beabsichtigte. Graf hat dieses Zimmer dann auch bekommen, wo er bis zum Schluss wohnte. Auch die Schwester des Graf, die Studentin Anneliese Graf, kam Anfang Januar bei der Familie Berrsche in Untermiete.
Willi Graf kam in der Zeit von Anfang Dez. 42 bis zuletzt ungefähr 10-12-mal zu einem kürzeren oder längeren Besuch zu meinem Bruder und mir nach Franz-Josef-Str. 13. Es handelte sich meistens um kürzere Besuche und nur 4- oder 5-mal hielt er sich in den Abendstunden länger als eine Stunde, höchstens bis 2 1/2 Stunden auf. Ich erkläre ausdrücklich, dass Graf an der von meinem Bruder und mir unter Mitbeteiligung des Schmorell durchgeführten Propagandatätigkeit (Abfassung, Herstellung und Verbreitung von Flugblättern) in keiner Weise aktiv tätig war. Auch haben mein Bruder und ich es gemieden, andere Personen in diese Angelegenheit einzuweihen, dies schon aus Sicherheitsgründen, nicht zuletzt aber, um andere Menschen bzw. Freunde und Bekannte nicht auch mit zu belasten. Ich versichere wiederholt, dass Willi Graf und dessen Schwester Anneliese weder durch mich, noch in meinem Beisein von meinem Bruder Hans, nicht einmal andeutungsweise, von unserer Propaganda-Tätigkeit unterrichtet wurden. Richtig ist dagegen, dass wir (mein Bruder und ich) mit Graf offen und frei Tagesfragen oder die politische bzw. militärische Lage besprachen. Graf hat unsere Meinung, dass wir den Krieg nicht gewinnen könnten und sich dadurch die heutige Regierungsform nach einem Zusammenbruch automatisch ändern müsse und auch ändern werde, weitgehendst geteilt. Oft haben wir uns auch über allgemeine Fragen unterhalten, zwischendurch jedoch auch über Politik, philosophische oder theologische Fragen. Einmal erinnere ich mich, haben wir uns eingehend mit der Frage befasst, ob die christliche und nationalsozialistische Weltanschauung miteinander in Einklang gebracht werden könnten. Nach einer längeren Debatte waren wir schließlich der übereinstimmenden Meinung, dass der christliche Mensch Gott mehr als dem Staat verantwortlich sei. Ein andermal wurde zwischen uns (mein Bruder, Graf und mir), ausgehend von den heutigen Kriegsereignissen, die Frage erörtert, ob der Mensch, besonders aber der christliche Mensch, der an die Gebote Gottes gebunden ist, töten dürfe, wie dies von den Soldaten an der Front verlangt wird. Hier kamen wir zu dem Ergebnis, dass auch der christliche Mensch im Kampf gegen den Feind töten dürfe, weil der Kämpfer nicht als Einzelperson für sein Tun verantwortlich sei, denn er handle ja als unselbstständiges Glied einer übergeordneten Macht. Solche und ähnliche Themen wurden gemeinsam mit Graf des Öfteren besprochen, wobei ich feststellen konnte, dass im Allgemeinen unsere Meinung übereinstimmte.
Nach dem Umfang und der verhältnismäßig großen Zahl von Flugblättern, die fast gleichzeitig an verschiedenen Orten Süddeutschlands auftauchten, konnte man als Uneingeweihter zweifellos der Meinung sein, es handle sich um eine größere Organisation, die diese Propaganda planmäßig betreibe. Wenn wir die Flugblätter z. B. in Wien, Salzburg, Linz, Augsburg und Stuttgart an dort wohnende Adressaten an Ort und Stelle bei der Post aufgaben, dann geschah dies nicht nur aus Ersparnisgründen, sondern wir wollten dadurch den Eindruck erwecken, als befände sich an Ort und Stelle eine Organisation, die sich in ihrer Propaganda gegen den heutigen Staat wendet. Der Gedanke, durch dieses Vorgehen von München, d. h. den Ort unserer Tätigkeit, abzulenken, lag uns dabei vollkommen fern. Mit meinem Bruder hab ich auch einmal darüber gesprochen, dieses Thema wurde sogar öfters behandelt, dass die Gestapo nach dem Auftauchen der Flugblätter, insbesondere fast gleichzeitig an verschiedenen Orten und der verhältnismäßig großen Zahl, der Meinung sein wird, dass hier eine größere Organisation am Werk sein wird. Wir haben uns über diese Irreführung sogar öfters lustig gemacht, und zwar hauptsächlich dann, wenn mein Bruder und ich zu später Nachtstunde einmal etwa 6000 Flugblätter herstellten. Die gesamten, von uns zur Verbreitung gebrachten Flugblätter, wurden einzig und allein durch meinen Bruder und mich in 2verschiedenen Nächten hergestellt. Im ersteren Falle handelte es sich um etwa 6000 Flugblätter mit der Überschrift: "Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland" und der Überschrift "Aufruf an alle Deutsche!", die entweder in der Nacht vom 21./22.oder 22./23.1.43 hergestellt wurden. Auf einem Teil dieser Flugblätter, die textlich alle gleich sind, fehlt lediglich die Überschrift "Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland"; dies kam daher, dass die Matrize während unserer Arbeit oben abriss und an der Abrissstelle verklebt werden musste, wodurch die Überschrift nicht mehr auf den Abzügen erschien, weil sie verklebt war.
Wenn mir vorgehalten wird, dass zur Herstellung dieser Flugblätter mindestens 3 verschiedene Matrizen verwendet wurden, so muss ich dies zugeben, denn beim Herstellen der Abzüge ist uns die Matrize immer wieder zerrissen, musste verklebt und schließlich wegen Unbrauchbarkeit neu geschrieben werden.
Von der zweiten Art von Flugblättern wurden insgesamt rund 3000 hergestellt. Diese tragen die Überschriften "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" und "Deutsche Studentin! Deutscher Student!". Auch diese Flugblätter sind textlich vollkommen gleich, nur die Überschrift wurde einmal geändert. Diese Änderung ist darauf zurückzuführen, dass die Matrize nach der Herstellung von schätzungsweise etwas mehr als der Hälfte der Flugblätter vollkommen unbrauchbar war, von meinem Bruder neu geschrieben werden musste, welche Gelegenheit er dazu benützte, die Überschrift zu ändern. Diese Herstellung erfolgte ebenfalls wieder durch meinen Bruder und mich, etwa in der Nacht von 4./5.2.43. Im ersteren Falle begannen wir etwa um 20 Uhr und waren um 3 oder 4 Uhr fertig, und im zweiten Falle arbeiteten wir ungefähr von 21 Uhr bis 1 Uhr.
Ich erwähnte dies alles so ausführlich, um zu zeigen, dass die beim Herstellen der Flugblätter zu bewältigende Arbeit bei der uns zur Verfügung stehenden Einrichtung von meinem Bruder und mir ohne weiteres bewältigt werden konnte. Mehr Arbeit und Zeitaufwand war notwendig, all die vielen Briefumschläge zu besorgen und zu adressieren. Lediglich beim Zukleben der Wurfsendungen war uns Schmorell am letzten Sonntag (14.2.43) insoweit behilflich, als er die zusammengefalzten und mit einer Adresse versehenen Flugblätter auf der Rückseite mit braunem Klebestreifen verschloss. Eine andere Person als Schmorell hat bei dieser Arbeit nicht mitgewirkt, besonders auch Graf hatte damit nichts zu tun.
Ich erwähnte schon einmal, dass ich der Meinung bin, dass Graf den Umständen nach wissen oder vermuten musste, dass wir als Hersteller und Verbreiter dieser Flugblätter in Betracht kommen. Es ist dies allerdings nur eine Annahme von mir, denn sicher bin ich mir in diesem Punkte nicht. Mit aller Bestimmtheit kann ich jedoch sagen, dass er durch mich über unsere Tätigkeit in keiner Weise, nicht einmal andeutungsweise, orientiert wurde.
Frage: In welchem Verhältnis stehen Sie zu der Schwester des Willi Graf, Anneliese Graf, bzw. in welcher Weise steht sie im Zusammenhang mit Ihrer Propagandatätigkeit?
Antwort: Anneliese Graf habe ich erstmals gesehen, als ich im Dezember 1942 (es war zu Anfang des Monats) einen Koffer bei meiner früheren Wirtin, Frau Berrsche, abholte. Bei dieser Gelegenheit wurde mir die Graf von ihrem Bruder vorgestellt. Ich hab mich auch kurz mit ihr unterhalten, jedoch nur über Fragen ihres Studiums. Insgesamt bin ich 8-10-mal mit der Anneliese Graf in Berührung gekommen. Unsere Unterhaltung bezog sich durchwegs auf literarische, musikalische oder andere Gebiete der Wissenschaft, niemals jedoch auf Politik. Die Graf halte ich, ohne mir ein abschließendes Urteil erlauben zu wollen, für vollkommen unpolitisch. Ich bleibe nach wie vor darauf bestehen, dass die Anneliese Graf mit unserer propagandistischen Tätigkeit, dem Herstellen der Flugblätter, dem Besorgen oder Schreiben der Briefumschläge, nicht das Geringste zu tun hat. Ich bin sogar der festen Meinung, dass sie davon nicht einmal eine Ahnung hatte.
Frage: Bei Durchsuchung der Räume des Ateliers Eyckemeir bzw. der Kellerräume desselben wurde u. a. eine Schablone zur Fertigung der Schrift "Nieder mit Hitler!" gefunden. Dabei befanden sich ein Paar Handschuhe, Farbe und Pinsel etc. Was ist Ihnen über die Beschaffung der Schablone und des Zubehörs und über deren Verwendung bekannt?
Antwort: Die mir vorgezeigte Schablone sehe ich jetzt zum ersten Mal, von deren Vorhandensein war mir bisher nicht das Geringste bekannt. Im Zusammenhang mit dieser Frage erinnere ich mich nun, vor etwa drei Wochen auf dem Schreibtisch meines Bruders kleine, etwa 6 bis 8 mm breite Blechstreifen vorgefunden zu haben, über deren Herkunft ich mir damals keine Vorstellung machen konnte. Weil ich mir weiter nichts dabei dachte, habe ich meinen Bruder nicht darüber befragt, wo diese Blechstreifen hergekommen seien. Nachdem ich aber nun diese Schablone gesehen habe, bin ich der Meinung, dass es sich bei diesen Blechstreifen um die Buchstabenausschnitte der in Frage stehenden Schablone handelte. Auch bei diesen Blechstreifen handelte es sich um Weißblech von der Art der mir vorgezeigten Schablone.
Im Laufe unserer propagandistischen Tätigkeit haben wir vornehmlich in der letzten Zeit den Gedanken erwogen, uns mit Flugblättern an die Studenten zu wenden, weil wir die Auffassung vertraten, dass die meisten der Studenten revolutionär und begeisterungsfähig sind, sich vor allem aber etwas zu unternehmen getrauen. Wenn ich in diesem Zusammenhang von Revolutionären spreche, dann ist das nicht so aufzufassen, als seien die Studenten in Revolutionsstimmung gegen den heutigen Staat, was ja keinesfalls zutrifft. Jedenfalls habe ich meinem Bruder bei Erwägung dieser Gedanken den Vorschlag gemacht, man solle an der Universität und deren Umgebung Farbaufschriften anbringen, welche Aufschriften zeigen sollten, dass noch Kräfte vorhanden seien, die gegen den heutigen Staat arbeiten. Bestimmte Vorschläge textlicher Art habe ich meinem Bruder nicht gemacht. Mein Bruder gab mir auf meinen Vorschlag hin zur Antwort, wir wollten uns vorerst einmal an die Verbreitung von Flugblättern halten, die Wirkung abwarten und sehen, was man weiter unternehme. Nebenbei erwähnte mein Bruder, wenn man Aufschriften anbringen wolle, müsse man zuerst Farbe herbeischaffen, was jedenfalls einige Schwierigkeit bereiten würde, da heute Farbe schwer zu bekommen ist.
Als ich am Donnerstag, den 4.2.43, gegen 10 Uhr zur Universität kam, um dort bei Professor Huber die Vorlesung zu besuchen, sah ich, dass an der rechten Seite des Einganges zur Universität zweimal in großer Schrift das Wort "Freiheit" angeschrieben war. Ferner sah ich, dass verschiedene Stellen an Häusern in der Ludwigstraße mit weißem Papier überklebt waren. An einer Stelle haben Straßenpassanten ein solches Papier weggerissen, worauf ich mich davon überzeugen konnte, dass jedenfalls mittels Schablone die Aufschrift "Nieder mit Hitler" und ein mit zwei Strichen durchkreuztes Hakenkreuz aufgemalt war.
Als ich nach der Vorlesung nach Hause kam, gab ich meinem Bruder von meinen Wahrnehmungen Kenntnis. Mein Bruder war über meine Mitteilung nicht überrascht, hat sie als interessante Neuigkeit hingenommen und sogleich die Frage an mich gerichtet, ob die Aufschrift schon weggemacht sei oder nicht und wie diese Aufschrift von den Studenten aufgenommen worden sei. Ich erzählte meinem Bruder, dass zahlreiche Putzfrauen damit beschäftigt seien, die Aufschrift abzuwaschen, was aber einige Schwierigkeiten verursachte. Bezüglich der Studenten sagte ich, einige hätten die Aufschrift als eine "Schweinerei" bezeichnet, während andere darüber gelacht hätten.
Am Abend vor diesem Vorfall hat mein Bruder bereits beim Abendessen etwa um 7 Uhr (19 Uhr) gesagt, er müsse noch zur Frauenklinik zu einer Entbindung. Nach dem Abendessen begaben sich mein Bruder, meine Schwester Elisabeth, die sich damals vorübergehend bei uns aufhielt, und ich zum Bayerischen Hof, wo wir einem Konzert beiwohnten. Nach dem Konzert begleitete uns unser Bruder nach Hause und ging nach 1/2 Stunde, etwa um 11 (23 Uhr), in seiner alltäglichen Kleidung von zu Hause weg. Ob er eine Aktenmappe oder ein anderes Beförderungsmittel mitgenommen hat, weiß ich nicht. Auch kann ich nicht angeben, wann mein Bruder in jener Nacht (3./4.2.43) nach Hause kam. Ich habe ihn erst wieder gesehen, als ich am nächsten Vormittag aus dem Bett aufstand. Ob wir am Vortage Herrenbesuch hatten, weiß ich nicht mehr genau, glaube dies aber nicht.
Frage: In Ihrer Wohnung wurde ein Notizbuch (Notenheft) gefunden, in welchem sich eine größere Anzahl von Adressen und anderer Aufzeichnungen befinden. Was haben Sie dazu anzugeben?
Antwort: Die Zeichen und Zahlen auf der ersten Seite dieses Notizbuches enthalten Ausgaben (geldlicher Art), die ich für persönliche Dinge und die Beschaffung von Papier, Briefumschläge, Briefmarken etc., zur Herstellung der Flugblätter und deren Versand aufgewendet habe. Die nunmehr rot unterstrichenen Zeichen und Zahlen beziehen sich auf Ausgaben für Zwecke der Propaganda. Die Gesamtsumme beläuft sich auf RM 385,-,soweit es meine Aufstellung betrifft bzw. soweit überhaupt von mir etwas aufgeschrieben wurde. Hier möchte ich erwähnen, dass in dem soeben festgestellten Betrag nur ein Teil unserer Gesamtausgaben für Zwecke der politischen Propaganda enthalten sind. Unsere Gesamtausgaben dürften sich nach meiner Schätzung auf etwa RM 800,- bis 1000,- belaufen, einschließlich der Bahnfahrten.
Dieses Notizbuch enthält ferner 272 Adressen von Personen in Augsburg und 14 Adressen von Personen in München. Diese Adressen habe ich selbst aus Adressbüchern (Jahrgang ist mir nicht bekannt), die im Deutschen Museum ausliegen, herausgeschrieben. - Die Adressaten von Augsburg erhielten bis auf etwa 12 Propagandabriefe der sogenannten Widerstandsbewegung in Deutschland. Nur Personen, deren Anschrift ich beim Schreiben der Adresse nicht mehr gut lesen konnte, habe ich ausgelassen, dies waren ungefähr 12. Die Münchner Adressaten, die in diesem Buch verzeichnet sind, erhielten überhaupt keine Briefe.
Frage: In Ihrer Wohnung wurde auch ein Verzeichnis der Studenten der Universität München für das Wintersemester 1941/42 vorgefunden. Wie kamen Sie zu diesem Verzeichnis und in welcher Weise haben Sie davon Gebrauch gemacht?
Antwort: Dieses Verzeichnis hat mein Bruder am letzten Sonntag (14.2.43) bei Vorbereitung von Propagandabriefen mit der Überschrift "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" oder "Deutsche Studenten! Deutsche Studentin!" beigebracht. Ob mein Bruder dieses Verzeichnis schon früher im Besitz hatte, weiß ich nicht. Jedenfalls haben wir aus diesem Verzeichnis, und zwar wahllos, etwa 1500 Adressen von Studenten herausgeschrieben, die auf dem Postwege mit den erwähnten Propagandaschriften versorgt wurden.
Frage: U. a. wurden auch Angehörige von Studentenkompanien mit Propagandabriefen ihrer Art versorgt. Woher hatten Sie diese Adressen und wer hat sie geschrieben?
Antwort: Mir ist nur bekannt, dass verschiedene Angehörige der in der Bergmannschule untergebrachten Studentenkompanie Propagandabriefe von uns erhielten. Die Adressen hat mein Bruder, der dieser Kompanie angehört, geschrieben. Wie viel Briefe an Angehörige der Studentenkompanie hinausgingen, weiß ich nicht. Auch vermag ich nicht anzugeben, ob auch Angehörige anderer Studentenkompanien mit solchen Briefen bedacht wurden. An die Front wurden meines Wissens, ich kann das sogar bestimmt sagen, keine Briefe mit Flugblättern geschickt.
Frage: Nach den Sachverständigenfeststellungen ist anzunehmen, dass bei der Beschriftung der Briefe bzw. beim Schreiben der Anschriften mehr als zwei verschiedene Schreibmaschinen benützt wurden. Ferner möchte ich von Ihnen wissen, wie Sie zu der Remington-Schreibmaschine gekommen sind.
Antwort: Hier kann ich nur wiederholten, dass zum Schreiben der Anschriften bei den zahlreichen Briefen (zwischen drei- und viertausend) nur zwei verschiedene Schreibmaschinen, und zwar jene der Frau Schmitt (kleine Erica) und die Schreibmaschine, die Schmorell besorgt hat, benützt wurden. Auch zu der Frage, wo Schmorell die Remington-Schreibmaschine hergebracht hat, kann ich mich nur auf meine früheren Angaben berufen. Es war Mitte Januar 1943, als Schmorell eines Tages während meiner Abwesenheit die in Frage kommende Remington-Schreibmaschine gebracht hat. Ich habe Schmorell nicht aufgefordert, eine Schreibmaschine zu besorgen und nehme daher an, dass die Anregung dazu von meinem Bruder ausging. Wem diese Schreibmaschine gehört, weiß ich nicht. Ich nehme jedoch an, dass sie Schmorell bei einem Freund oder Bekannten geliehen hat. Genau weiß ich dies allerdings nicht.
Frage: Wann und durch wen erhielten Sie Kenntnis von dem Flugblatt "Die Weiße Rose"? Was hatten Sie selbst mit dieser Sache zu tun?
Antwort: Im vorigen Sommer, etwa Mitte Juli, hat mir Frl. Traute Laffrenz, Studentin der Medizin (Wohnung in München unbekannt), mit der ich gut bekannt bin, während einer Vorlesungspause in der Universität ein Flugblatt mit der Überschrift "Flugblätter der Weißen Rose" zum Lesen gegeben. Meines Wissens war dieses Flugblatt am Kopf mit der Zahl IV (römische Zahlen) versehen. Ich glaube mich auch erinnern zu können, dass mir die Laffrenz bei der Übergabe dieser Druckschrift mitteilte, sie habe diese am gleichen Tage oder einige Tage vorher erhalten. Die Schrift wurde ihr in einem Briefumschlag durch die Post zugesandt. Als ich diese Flugschrift durchgelesen habe, standen mein Bruder und meines Wissens auch der Student Hubert Furtwängler (ein Neffe des bekannten Dirigenten) aus dem Schwarzwald, nähere Anschrift unbekannt, neben mir und haben die Schrift über meine Schulter hinweg mitgelesen. Mein Bruder hat weder durch Mienen, Gebärden oder Bemerkungen erkennen lassen, dass er mit dieser Schrift, d. h. mit der Herstellung und Verbreitung, irgendetwas zu tun hatte. Noch während des Lesens habe ich an die umstehenden Personen die Frage gerichtet, was wohl die Überschrift "Die Weiße Rose" zu bedeuten habe. Meines Wissens gab mein Bruder zur Antwort, dass seiner Erinnerung nach während der Franz. Revolution die verbannten Adeligen eine weiße Rose als Symbol auf ihren Fahnen geführt hätten. Wenige Tage später habe ich mich mit meinem Bruder nochmals über dieses Flugblatt unterhalten, wobei er auf meine Frage, wer wohl als Verfasser dieses Flugblattes in Frage komme, zur Antwort gab, es sei nicht gut nach dem Verfasser zu fragen, weil man diesen dadurch nur gefährde.
In sonstiger Weise habe ich von dem Flugblatt "Die Weiße Rose" nichts gesehen und nichts gehört. Ich muss ganz entschieden bestreiten, sowohl mit der Abfassung, der Herstellung oder Verbreitung dieser Schrift auch nur das Geringste zu tun zu haben. Noch im Juli 1942 ging unter den Studenten das Gerücht, wer mir das damals gesagt hat, weiß ich nicht mehr, die Verbreiter der "Weißen Rose" habe man gefasst, d. h. verhaftet, abgeurteilt und hingerichtet.
Frage: Den Umständen nach ist anzunehmen, dass Sie zur Bestreitung der Ihnen zur Durchführung der Flugblattpropaganda entstehenden Kosten von dritter Seite finanzielle Zuwendungen erhielten.
Antwort: Ich habe schon einmal angegeben, dass dies nicht der Fall ist. Sämtliche entstandenen Unkosten zur Beschaffung des nötigen Materials, des Vervielfältigungsapparates, der Briefmarken, Reisekosten usw. wurden einzig und allein von meinem Bruder und mir bestritten. Richtig ist allerdings, dass die uns zur Verfügung stehenden Geldbeträge zur Bestreitung unseres Lebensunterhaltes, Bezahlung der Vorlesungsgebühren, Beschaffung des zur Herstellung der Flugschriften notwendigen Materials etc. nicht ausreichten, weshalb ich gezwungen war, bei verschiedenen Freunden und Bekannten Geld zu leihen. So habe ich mir von Schmorell kurz vor Weihnachten 1942 einen Betrag von RM 200,- und vor etwa 4 Wochen nochmals RM 45,- geliehen. Schmorell habe ich nicht gesagt, dass diese Geldbeträge zur Bestreitung der durch die Herstellung der Flugblätter notwendigen Auslagen seien, doch konnte oder musste er dies den Umständen nach annehmen. Ich bin seit 1 Jahr mit Schmorell bekannt, mein Bruder etwa seit 2 Jahren. Zu früheren Zeiten habe ich von Schmorell nie Geld geliehen.
Seit 8 oder 9 Jahren bin ich mit Fritz Hartnagel, 26 Jahre alt, aus Ulm, bekannt. Genannter ist aktiver Offizier der Luftwaffe (Hauptmann), befand sich bei der 6. Armee in Stalingrad, hat starke Erfrierungen erlitten und wurde dieserhalb noch vor Beendigung der Kämpfe mit dem Flugzeug abtransportiert und befindet sich nunmehr in einem Lazarett in Lemberg. Mit Hartnagel verbindet mich seit 1937 ein Liebesverhältnis und wir hatten auch die Absicht, uns später einmal zu heiraten. Im Mai 1942 hat mir Hartnagel während eines kurzen Urlaubs einen Betrag von RM 200,- für meine Zwecke zur Verfügung gestellt. Später, und zwar im Juli, erhielt ich nochmals 100,- RM. Von diesem Betrag von insgesamt RM 300.- habe ich für Hartnagel ungefähr 40,- RM zum Ankauf von Büchern für ihn ausgegeben. Den Restbetrag von RM 260,- habe ich seit Beginn unserer Flugblattaktion verbraucht.
Zur Berichtigung obiger Angaben möchte ich nachtragen, dass die Vorlesungsgebühren für mich und meinen Bruder von meinem Vater bezahlt werden.
Frage: Seit wann sind Sie mit dem Studenten der Medizin, Christoph Probst, aus Lermoos bei Garmisch bekannt und in welchem Verhältnis standen Sie zu ihm? Was hatte er mit der Flugblattaktion zu tun bzw. in welcher Weise war er beteiligt?
Antwort: Im Mai 1942 wurde mir Probst bei einem Konzert durch Schmorell oder meinen Bruder vorgestellt. In der Folgezeit kam ich, und zwar bis Beendigung des Sommersemesters wöchentlich, etwa 2- bis 3-mal bei Konzerten oder in seiner bzw. unserer Wohnung mit ihm zusammen und habe mich mit ihm unterhalten. Verschiedentlich war mein Bruder zugegen, oft aber auch nicht. Die politische Einstellung des Probst deckt sich im Wesentlichen mit der meines Bruders und der meinen. Auch er vertrat die Meinung, dass wir diesen Krieg nicht mehr gewinnen könnten. In seinen Äußerungen gegenüber dem heutigen Staat hat er sich uns gegenüber zurückgehalten, wohl mit Rücksicht auf seine zahlreiche Familie. Seine Frau wurde erst unlängst von dem dritten Kind entbunden und hat jetzt noch Wochenbettfieber. Mit der Abfassung der Flugblätter, deren Herstellung und Verbreitung, hat er meines Wissens nicht das Geringste zu tun.
Wenn mir vorgehalten wird, dass Probst erst unlängst einen Entwurf zu einem neuen Flugblatt geliefert habe, so muss ich der Wahrheit gemäß angeben, davon bis jetzt nichts gewusst zu haben.
Mit Probst und dessen Frau bin ich eng befreundet. Bei der Frau des Probst habe ich im Laufe des letzten Jahres etwa viermal einen Wochenendbesuch gemacht. Bei Probst handelt es sich nach meiner Meinung charakterlich und geistig um einen über dem Durchschnitt gefestigten bzw. begabten Menschen, der verantwortungsbewusster zu sein scheint als Schmorell. Die Frau des Probst lebt ganz ihrer Familie und geht vollkommen in der Sorge um ihre Kinder auf. Meines Erachtens ist diese Frau vollkommen unpolitisch.
Frage: Nennen Sie der Reihe nach Ihre gut bekannten und befreundeten Personen.
Antwort: Außer den bereits besprochenen Freunden und Bekannten etc. wären hier noch folgende nachzutragen:
Muth Karl, Professor, wohnt München-Solln, Dittlerstr. 10, durch Otto Aicher, vor 1 Jahr kennen gelernt, komme selten zu ihm zur Erkundigung seines Wohlergehens. Sehr religiöser Mann, politische Gespräche wurden bisher nicht geführt. 77 Jahre alt, körperlich sehr schwach.
Aicher Otto, Wehrmachtangehöriger, z. Zt. wegen Krankheit Genesungsurlaub, Truppenteil unbekannt. Aicher ist aus Ulm, wo seine Eltern Glockengasse 10 wohnen.
Ist der Geliebte der Schwester Inge, hat 8 Klassen Realschule, jedoch nicht das Abitur, weil er nicht der HJ angehört hat. Er ist sehr religiös und nicht nationalsozialistisch eingestellt, sonst aber unpolitisch, da er ganz andere (philosophische und künstlerische) Interessen verfolgt.
Reiff Erika, Ulm, Weinsteige 8. Abiturientin, im 7. oder 8. Semester, als Medizinstudentin an der Universität München seit Dezember 1942. Hier einmal im Konzert getroffen, sonst keinen Umgang mit ihr. Politisch gut nationalsozialistisch eingestellt.
Remppis Lisa, wohnt Leonberg b[ei] Stuttgart, Adolf-Hitler-Straße 16. Jugendfreundin, 19 Jahre alt, Schülerin des Fröbelseminars in Stuttgart. Regen Schriftwechsel, persönlicher Natur. Selbst unpolitisch, ihr Verlobter, ehem. Offizier, (Kriegsbeschädigter) positiv für den heutigen Staat eingestellt.
Andere Freundschaften unterhalte ich nicht.
Frage: Im Laufe der Verhandlung habe ich Ihnen zwischendurch einen Schal vorgezeigt und die Frage an Sie gerichtet, ob er Ihnen oder Ihrem Bruder gehöre oder ob Sie sonst wüssten, wer der Eigentümer desselben sei.
Antwort: Dieser Schal gehört weder meinem Bruder noch mir, ferner ist mir nicht bekannt, wessen Eigentum er sonst sein könnte. Ich kann mit bestem Gewissen zu dieser Frage keine positiveren Angaben machen.
Wenn mir vorgehalten wird, dass in diesen Schal Flugblätter eingewickelt waren, die kurz nach unserer Festnahme im Universitätsgebäude gefunden wurden, so kann ich mir die Zusammenhänge nicht erklären.
Frage: Was wissen Sie von einem Flugblatt mit der Überschrift: "10 Jahre Nationalsozialismus!"?
Antwort: Ein Flugblatt mit diesem Titel war mir bis jetzt vollkommen fremd. Nachdem mir dieses Flugblatt im Original vorgezeigt wurde, kann ich mit Sicherheit sagen, dass dieses Flugblatt weder von meinem Bruder noch von mir stammt.
Über den Hersteller oder Verbreiter vermag ich keinerlei Angaben zu machen.
Frage: Wann ist Schmorell zur Besorgung der Propagandapost nach Salzburg, Linz und Wien gefahren, wann kam er zurück und wo hat er gegebenenfalls übernachtet?
Antwort: Schmorell ist am 26.1.43 (an einem Dienstag) vormittags um 6 Uhr mit dem Schnellzug von München nach Salzburg, Linz und Wien gefahren und kam am 28.1.43 vormittags um 4 Uhr wieder nach München zurück. Ob er in einer dieser Städte übernachtete, weiß ich nicht, nehme es aber nicht an, da Schmorell sehr wenig Geld bei sich hatte, weshalb er vielleicht gar nicht übernachten konnte, selbst wenn er dies gewollt hätte.
Frage: Ich habe schon einmal die Frage an Sie gerichtet, was die benützte Vervielfältigungsmaschine gekostet hat. Sie sagten 200,- RM, ist das richtig?
Antwort: Mein Bruder hat den Vervielfältigungsapparat gekauft und ich weiß nicht genau, was er gekostet hat, ich glaube aber etwa RM 200,-, vielleicht auch etwas mehr.
Frage: Zum Schlusse Ihrer nun umfangreichen Vernehmung habe ich die Frage an Sie zu richten, ob Sie nicht aus eigenem Entschluss etwas anzugeben haben, was zur Klärung der Sache beitragen kann oder noch nicht aufgeklärt ist.
Antwort: Auf diese Frage möchte ich noch angeben, dass ich am 5. oder 6. Februar 1943, nachdem ich am 4.2. an der Universität die Aufschrift "Freiheit" gesehen hatte, meinen Bruder unter vier Augen mit den Worten zur Rede stellte: "Das stammt wohl von Dir?", ich meinte damit das Anschreiben des Wortes "Freiheit", worauf ich von ihm lachend die Bestätigung erhielt. Ich weiß nicht mehr, ob er nur mit [dem] Kopf nickte oder meine Frage mit "ja" beantwortete. Ich habe meinem Bruder in diesem Zusammenhang den Rat gegeben, mich bei ähnlichen Schmierereien mitzunehmen, um ihn vor evtl. Überraschungen zu schützen. Ich erwähnte noch, dass wir gegebenenfalls im Falle einer Überraschung Arm in Arm weitergehen könnten und wir dann nicht auffallen würden. Mein Vorschlag leuchtete ihm wohl ein, er hat sich jedoch nicht einverstanden erklärt, weil er die Meinung vertrat, solche Arbeiten seien für ein Mädchen nicht geeignet.
Auch in einem anderen Punkt habe ich nicht die Wahrheit gesagt, was ich vor Abschluss meiner Vernehmung berichtigen möchte. Die auf Seite 1 des bei mir vorgefundenen Notizbuches vorgetragenen Geldbeträge wurden restlos und ausschließlich für Zwecke der politischen Propaganda (Herstellung von Flugblättern) verwendet. Auf der linken Seite oben befindet sich der Buchstabe E, soll heißen Einnahmen, und auf der rechten Seite der Buchstabe A, soll heißen Ausgaben. Der Gesamtbetrag von E (Einnahmen) beläuft sich auf RM 1103,50 und jener der Ausgaben auf 690,50. Ich muss hier betonen, dass ich nicht alle Auslagen notiert habe. Außerdem glaube ich, dass ich unter der Rubrik Einnahmen den einen oder anderen Betrag entweder doppelt aufgeschrieben habe oder dass Einzelbeträge in anderen größeren Summen bereits enthalten waren, also doppelt verbucht wurden. Die Einnahmen und Ausgaben müssen sich ungefähr auf gleicher Höhe bewegen, denn andere Beträge als angegeben standen mir nicht zur Verfügung und unsere Kasse ist bis auf einen Restbetrag von rund RM 40,- aufgebraucht.
Zum Schlusse meiner Angaben möchte ich noch anführen, dass ich nun alles angegeben habe, was mir von dem Ermittlungsgegenstand überhaupt bekannt ist. Ich habe mit Wissen nichts verschwiegen oder etwas hinzugesetzt, das nicht der Wahrheit entspricht. Sollte mir noch nachträglich etwas einfallen, was mit der Sache in Zusammenhang steht und noch nicht eingehend geklärt und besprochen ist, so werde ich mich freiwillig zur weiteren Vernehmung melden.
Schlussfrage: Während der Gesamtvernehmung, die sich über zwei volle Tage erstreckte, haben wir zwischendurch, wenn auch nur streiflichtartig, verschiedene politische und weltanschauliche Fragen besprochen. Sind Sie nach diesen Aussprachen nun nicht doch zu der Auffassung gekommen, dass man Ihre Handlungsweise und das Vorgehen gemeinsam mit Ihrem Bruder und anderen Personen gerade in der jetzigen Phase des Krieges als ein Verbrechen gegenüber der Gemeinschaft, insbesondere aber unserer im Osten schwer und hart kämpfenden Truppen, anzusehen ist, das die schärfste Verurteilung finden muss?
Antwort: Von meinem Standpunkt muss ich diese Frage verneinen. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.
Aufgenommen: Mohr KOS. Anwesend: [unleserliche Unterschrift] VA.
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Laut diktiert und auf nochmalige Nachlesung und Überprüfung verzichtet: Sophie Scholl |
Sophie Scholl, Robert Mohr
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Hans und Sophie Scholl stritten zunächst ab, irgendetwas mit den in der Hochschule gefundenen Flugblättern zu tun zu haben und konnten, wie Mohr später in einem Bericht an die Eltern der Geschwister Scholl schrieb, offenbar glaubwürdig ihre Unschuld vermitteln.
Nach einer zweiten Hausdurchsuchung war die Beweislast jedoch erdrückend. Die Polizei fand unter anderem eine Schreibmaschine, mehr als 100 Briefmarken, eine Schablone mit dem Schriftzug "Nieder mit Hitler" und Briefe von Christoph Probst an Hans Scholl. Laut Protokoll legte Hans Scholl daraufhin am Morgen des 19.2.1943 ein Geständnis ab.
Als Robert Mohr Sophie Scholl mitteilte, dass ihr Bruder gestanden habe, gab auch sie ihre Mitarbeit zu.
Wie sich aus dem Vernehmungsprotokoll eindeutig ergibt, versuchte Sophie Scholl, ihre Freunde und Mitkämpfer zu schützen, indem sie ihren Bruder Hans und sich selbst als die einzigen Akteure darstellte. Sie belastete Alexander Schmorell, der bereits seit Juni 1942 eng mit Hans Scholl zusammengearbeitet hatte, zwar als Mitläufer, reduzierte aber sein Rolle auf die eines naiven Mitwissers, der nur einmal beim Kouvertieren von Flugblättern mitgeholfen habe. Andere Mitglieder der Weißen Rose verschwieg sie ganz, bezeichnete sie allenfalls als ähnlich Denkende oder räumte ein, dass sie möglicherweise in gewissem Umfang von den Aktivitäten gewusst haben könnten.
Die Gestapo-Vernehmungsprotokolle im Zusammenhang mit dem Weiße-Rose-Prozess vom 22. Februar 1943 gelangten nach dem 2. Weltkrieg über die Sowjetunion in die DDR und waren jahrzehntelang öffentlich nicht zugänglich. Zu DDR-Zeiten befanden sie sich im Zentralen Parteiarchiv des Instituts für Marxismus-Leninismus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Ost-Berlin und zuletzt im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit in Dahlwitz-Hoppegarten. Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten sind diese Dokumente in den Bestand des Bundesarchivs übergegangen und können seit 1990 eingesehen werden.
"Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund (2005) |
Das Vernehmungsprotokoll war Grundlage für den Spielfilm "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund (2005), für den Julia Jentsch bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 2005 den Silbernen Bären für die beste Hauptdarstellerin und Marc Rothemund den für die beste Regie erhielt.
Sophie Scholl
Das letzte Flugblatt der Weißen Rose
Sie erkannte sofort, worauf ich hinauswollte
Todesurteil der Sophie Scholl
So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen
Vergleich Lubbe - Elser - Schulze-Boysen - Scholl - Stauffenberg