Sie erkannte sofort, worauf ich hinauswollte
Bericht von Robert Mohr, Kriminalobersekretär bei der Gestapo
Szene aus dem Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" von Marc Rothemund (2005): Kriminalobersekretär Robert Mohr (Alexander Held) mit Weiße-Rose-Flugblatt in der Hand im Rektorat der Universität München.
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Die in dieser Richtung angestellten Ermittlungen, zur Feststellung der Urheber verliefen ergebnislos. Verschiedene Umstände deuteten darauf hin, daß die Verfasser der Flugblätter in München zu suchen sein werden, nähere Anhaltspunkte fehlten jedoch vorerst.
Eine neue Situation entstand erst, als Ende Januar oder anfangs Februar 1943 in den späten Abendstunden im Stadtkern von München, offensichtlich von mehreren Personen, etwa 8 -10000 im Vervielfältigungsverfahren hergestellte Flugblätter in Haus- und Hofeingängen, auf den Bürgersteigen usw. ausgestreut wurden. Auch mit diesen Flugblättern wurde, ausgehend von der Tragödie von Stalingrad, mit drastischen Worten gegen die damals bestehende Regierungs- und Staatsform und seine Führung Stellung genommen. Es wurde als gegeben unterstellt, daß der Krieg bereits zu diesem Zeitpunkt verloren war und daher alles getan werden müsse, dieses unsinnige Blutvergießen abzukürzen bzw. zu beenden.
Das Auftauchen dieser verhältnismäßig großen Zahl von Flugblättern in der "Hauptstadt der Bewegung" hat selbstverständlich bis in die höchsten Stellen Beunruhigung und Aufsehen hervorgerufen.
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Am folgenden Vormittag zwischen 10 und 11 Uhr erhielt ich in meinem Zimmer im Wittelsbacher Palais die telef. Aufforderung, sofort zum Chef - Oberregierungsrat Schäfer - zu kommen. Als ich wenig später nichtsahnend dort eintraf, fand ich Herrn Schäfer an seinem Schreibtisch, hinter einem Berg der vorerwähnten Flugblätter, die inzwischen in der Stadt eingesammelt wurden und hier aufgestapelt waren.
Nach kurzer Information erhielt ich den Auftrag, alle anderen Arbeiten zu übergeben oder wenn nicht dringlich, liegen zu lassen, um sogleich mit mehreren Beamten die Fahndungstätigkeit nach den Urhebern dieser Flugblätter aufzunehmen. Zugleich wurde mir mitgeteilt, daß diese Flugblatt-Aktion größte Beunruhigung hervorgerufen habe und daß demgemäß die höchsten Stellen von Partei und Staat an einer möglichst baldigen Aufklärung interessiert seien. Dieses begreifliche Interesse wurde schließlich auch dadurch unterstrichen, daß fast täglich maßgebende Persönlichkeiten vorsprachen, um sich über den Stand der Dinge zu informieren.
Fast um die gleiche Zeit sind Flugblätter ähnlichen oder gar gleichen Inhalts in größerer Anzahl per Post in Stuttgart, Augsburg, Wien und, glaub' ich, in Salzburg und Innsbruck aufgetaucht, weshalb es zuerst ungewiß war, an welchem dieser Orte die Hersteller und Verbreiter zu suchen waren. Große Wahrscheinlichkeit sprach für München als Ausgangspunkt, weil hier die überaus große Zahl von Flugblättern ausgestreut wurde, während an den anderen Orten die Übermittlung per Post erfolgte.
Verhältnismäßig rasch konnte festgestellt werden, daß die Briefumschläge der zu Versand gebrachten Flugblätter von einer Münchner Kuvertfabrik stammten und auch das zur Vervielfältigung benützte saugfähige Papier mit ziemlicher Sicherheit in München gekauft wurde. Hinzu kam, daß beim Postamt 23 (an der Ludwigstraße) von ein und derselben Person ungewöhnlich viele Briefmarken zu 8 Pfennig gekauft wurden. Der betreffende Schalterbeamte konnte sogar eine Personenbeschreibung abgeben. Schließlich deutete der Inhalt der Flugblätter darauf hin, daß der bzw. die Verfasser der Flugblätter über einen akademischen Bildungsgrad verfügen mußten, und endlich, daß die Adressen der zum Versand gebrachten Flugblätter in München und Umgebung einem Studenten Verzeichnis der Universität entnommen waren.
Mitten in diese Ermittlungstätigkeit kam am Vormittag des 18.2.43, etwa um 11 Uhr, von der Universität die telefonische Mitteilung, daß dort kurz vorher von der Balustrade des Lichthofes eine große Zahl von Flugblättern heruntergeworfen worden sei und daß 2 Personen festgehalten werden würden, die vermutlich als die Verbreiter in Frage kämen.
Als ich wenig später in das Vorzimmer des Rektorates geführt wurde, waren auch hier auf einem kleinen Tisch Flugblätter der bekannten Art, allerdings mit der Überschrift "Kommilitoninnen-Kommilitonen", die man eben im Lichthof eingesammelt hatte, angehäuft. Im gleichen Zimmer befanden sich ein junges Fräulein und ein junger Herr, die mir als die vermutlichen Verbreiter der Flugblätter bezeichnet wurden. Ein Bediensteter der Universität (Schmitt) wollte die beiden in der Nähe der Abwurfstelle gesehen haben. Beide, vor allem das Fräulein, machten einen absolut ruhigen Eindruck und legitimierten sich schließlich durch Vorzeigen ihrer Studenten-Ausweise als das Geschwisterpaar Sophie und Hans Scholl.
Hans und Sophie Scholl am 20.2.1943
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Sophie Scholl versicherte mir zuerst absolut glaubwürdig (das war nach Lage der Dinge nur verständlich), mit dieser Flugblattgeschichte nicht das Mindeste zu tun zu haben. Am Abend vorher habe sie mit ihrer Freundin, ebenfalls einer Studentin (stammt aus Norddeutschland, wenn nicht von Hamburg, war damals etwa 20 Jahre alt, später mitangeklagt und erhielt m. W. 6 Monate Gefängnis) für den 18.2.43 ein Stelldichein verabredet, um gemeinsam das Mittagessen einzunehmen. Nun habe sich aber dieser Plan geändert, denn sie (Sophie) sei mit ihrem Bruder Hans übereingekommen, gemeinsam nach Ulm zu den Eltern zu fahren, um ihre Wäsche zu holen bzw. einen kurzen Besuch zu machen. Nur aus diesem Grunde seien sie (Sophie und Hans) auf dem Weg zum Bahnhofe zur Universität gegangen, um dort die Freundin, die sich bei einer Vorlesung befunden habe, von der Abreise zu verständigen. So erkläre sich auch das Mitführen des leeren Koffers, der zur Unterbringung der Wäsche bestimmt gewesen sei. Die in Frage stehenden Flugblätter, so erklärte Sophie Scholl weiter, hätten sie beim Gang durch das Universitätsgebäude auf der Balustrade des Lichthofes aufgeschichtet liegen sehen. Im Vorbeigehen habe ihr Bruder, vermutlich weil ihm gerade nichts besseres eingefallen sei, die Blätter mit der Hand in den Lichthof hinabgestreift.
Als die Vernehmung ungefähr bis dahin gediehen war - es lag für mich kein Grund vor, die absolut glaubwürdigen Angaben der Sophie Scholl anzuzweifeln -, kam der Reichsstudentenführer Scheel zu mir ins Zimmer und ersuchte mich, sich kurz mit Sophie Scholl unterhalten zu dürfen. Vermutlich hat dann Sophie Scholl dem Scheel die gleiche Darstellung wie mir gegeben. Jedenfalls muß auch Scheel auf Grund der Unterredung der Auffassung gewesen sein, daß das Geschwisterpaar Scholl mit der Flugblattaktion nichts zu tun haben würde, sonst hätte er wohl beim Weggehen nicht die Äußerung gebraucht: "Macht der deutschen Studentenschaft keine Unehre." Zu diesem Zeitpunkt war ich bei dem Stand der Dinge der Auffassung, daß Hans und Sophie Scholl noch am gleichen Tag mit ihrer Entlassung zu rechnen hätten. Dies gab ich der Sophie Scholl zu verstehen, indem ich beiläufig erwähnte, daß sie wohl noch am gleichen Abend die Reise nach Ulm, gemeinsam mit ihrem Bruder, antreten könne.
[...]
Eine Wendung der Dinge trat erst ein, als bei einer Durchsuchung des Hans Scholl'schen Zimmers mehrere 100 Briefmarken zu 8 Pfg. - postfrisch - und der Entwurf eines handschriftlich abgefaßten Flugblattes, das, wie sich später herausstellte, von der Hand des Christoph Probst stammte, vorgefunden wurde. Dies wurde mir am Abend des 18.2.43 mit dem Bemerken mitgeteilt, daß demnach Hans Scholl als der Verfasser und Verbreiter der Flugblätter in Frage komme.
Offen gesagt, ich war selbst über diese neuerliche Feststellung mehr erschrocken als mein Gegenüber, Fräulein Scholl, die zu jeder Zeit die Ruhe selber war. Was sich jetzt abspielte, ist mir in meiner 26jährigen Gendarmerie- und Polizeidienstzeit nicht ein zweites Mal begegnet. Sophie war krampfhaft bemüht, alle Schuld auf sich zu nehmen, um dadurch ihren Bruder, an dem sie offensichtlich mit letzter Hingabe hing, zu entlasten, wenn nicht zu retten. Ich habe keinen Zweifel, daß Sophie Scholl, wenn sie es vermocht hätte, ihr junges, hoffnungsvolles Leben zweimal hingegeben hätte, wenn sie ihrem Bruder dieses Ende hätte ersparen können. Umgekehrt war bei Hans Scholl die gleiche Bereitschaft festzustellen. Daß die hier zum Ausdruck gekommene Geschwisterliebe, diese Opferbereitschaft und Charakterstärke auf mich selbst wie auf alle die übrigen Beteiligten den stärksten Eindruck machte, brauche ich wohl nicht besonders hervorzuheben.
Beide, Sophie und Hans Scholl, waren sich der Tragweite ihrer Handlungsweise und der daraus erwachsenen möglichen Schlußfolgerung voll bewußt - trotzdem bewahrten beide bis zum bitteren Ende eine Haltung, die als einmalig bezeichnet werden muß. Übereinstimmend erklärten sie dem Sinne nach, sie hätten durch ihr Vorgehen nur das eine Ziel im Auge gehabt, ein noch größeres Unglück für Deutschland zu verhindern und vielleicht mit ihrem Teil dazu beizutragen, 100000enden von deutschen Soldaten und Menschen das Leben zu retten. Ja, wenn das Glück oder Unglück eines großen Volkes auf dem Spiele stehe, sei kein Mittel und Opfer zu groß, es freudig darzubringen. Sophie und auch Hans Scholl waren bis zuletzt davon überzeugt, daß ihr Opfer nicht umsonst sei.
Bei allem Pflichtbewußtsein der beteiligten Beamten, es handelte sich durchwegs um erfahrene Kriminalisten, ist es bei dieser Sachlage nur verständlich, daß die unglücklichen Opfer dieser Tragödie die ungeteilte Sympathie und Hochachtung, wenn nicht Wertschätzung, aller Beteiligten genossen. Demgemäß war auch die Behandlung denkbar gut und nachsichtig. Jeder von uns hätte gerade hier bei der charakterlichen Seelengröße der Betroffenen sehr gerne geholfen, wenn dies möglich gewesen wäre - statt sich, wie geschehen, auf kleine Aufmerksamkeiten zu beschränken. Mein Kollege sagte mir in jenen Tagen dem Sinne nach folgendes: "Bei Hans Scholl bin ich einer Intelligenz begegnet, wie sie mir in dieser prägnanten Form bis dahin fast fremd war. Ich bedauere, daß ich nach der Sachlage nichts für ihn tun kann." Ich glaube mich sogar zu erinnern, daß er (Kollege) mir im Vertrauen zu mir, von einem "Volksführer" sprach, wie wir ihn vielleicht in Zukunft notwendig brauchen könnten. Daran knüpfte er schließlich noch die Bemerkung, es sei furchtbar, daß solche Menschen sterben müßten...
Was Sophie Scholl anlangt, glaubte ich einen Weg gefunden zu haben, ihr wenigstens das Leben zu retten. Eigens zu diesem Zweck ließ ich sie mir, glaube ich, am 19.2.43 zur Vernehmung vorführen. Ich versuchte mit letzter Beredsamkeit Fräulein Scholl zu einer Erklärung zu veranlassen, die letzten Endes darauf hinaus hätte laufen müssen, daß sie ideologisch mit ihrem Bruder nicht konform war, sich vielmehr auf ihren Bruder verlassen habe, daß das was sie getan habe richtig sei, ohne sich selbst über die Tragweite der Handlungsweise Gedanken zu machen. Sophie Scholl erkannte sofort, wo ich hinauswollte, lehnte es jedoch entschieden ab, sich zu einer solchen oder ähnlichen Erklärung bereitzufinden. Es war dies in der Tat vielleicht die einzige Möglichkeit - eine Chance, wie Fräulein Gebel in ihrer Niederschrift sagt -, Sophie Scholl wenigstens das Leben zu retten. Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, daß sich Sophie Scholl wie eine Verräterin am eigenen Bruder vorgekommen wäre, wenn sie diesen "Strohhalm" hätte ergreifen sollen. Bei der charakterlichen Haltung der Sophie Scholl im allgemeinen, ist mir ihre Stellungnahme zu dieser Frage verständlich, auch wenn ich damals sehr enttäuscht darüber war, nicht zu dem von mir erstrebten Erfolg gekommen zu sein. ...
Von höchster Stelle wurde auf einen möglichst raschen Abschluß der Ermittlungen gedrängt, weil eine Aburteilung, wie ja dann auch geschehen, schon in den nächsten Tagen vor dem Volksgerichtshof in München erfolgen sollte. Schon am Sonntag nach der Festnahme - es war dies, glaube ich, der 20.2.43 [der 21.2.43] - in den Nachmittagsstunden traf der Oberreichsanwalt in München ein, und es mußten zu diesem Zeitpunkt die Ermittlungsakten zur Übergabe bereitliegen. So erklärt es sich auch, daß die an der Vorermittlung beteiligten Personen - Beschuldigte sowohl als auch Kriminalbeamte - in diesen Tagen kaum zur Ruhe kamen. In richtiger Erkenntnis der Sachlage habe ich Sophie Scholl schon vor der Überstellung in das Gerichtsgefängnis die Möglichkeit gegeben, sich vorsorglich von ihren Angehörigen, wenigstens brieflich zu verabschieden, weil später vielleicht nicht Zeit oder Gelegenheit dazu gegeben sein könnte.
Von Sophie und Hans Scholl lagen kurze Abschiedsbriefe an die Eltern, an Inge Scholl und von Sophie an ihren Verehrer oder Verlobten vor. Die Briefe enthielten warme Dankesworte für empfangene Wohltaten und Liebe, neben dem Hinweis, daß man nicht anders habe handeln können. In einem der Briefe war zum Ausdruck gebracht, daß die Zukunft freisprechen und rechtfertigen würde, was man jetzt verurteile. Die Briefe enthielten ferner Worte des Trostes und der Entschuldigung für den Schmerz, der den Hinterbliebenen habe zugefügt werden müssen. Schließlich zeugten sie von einer tiefen Gläubigkeit.
In einem der Briefe, vermutlich der Sophie an Inge Scholl waren Grüße an einen Professor Muth in Solln bei München aufgetragen. Von Sophie Scholl war mir bekannt, daß die Geschwister Scholl bei diesem Herrn Muth gelegentlich Besuche machten und daß sie diesen Herrn besonders schätzten und verehrten.
Auftragsgemäß mußte über den Inhalt der Abschiedsbriefe an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin berichtet werden. Darauf wurde von dort angeordnet, daß die Briefe ausnahmslos zu den Akten zu nehmen seien, auf keinen Fall aber ausgehändigt werden dürften, weil im anderen Falle zu befürchten sei, daß der Briefinhalt propagandistisch verwendet werden würde. Schon aus dieser Anordnung, die in München nicht gebilligt wurde, geht hervor, daß der Inhalt der Briefe sich mit der Gesamthaltung deckte.
Zu der am 22.2.43 vormittags 10 Uhr angesetzten Gerichtsverhandlung des Volksgerichtshofes im Justizgebäude in München war ich mit noch einigen Kameraden, darunter Herr Mahler, als Zeuge geladen. Bei Aufruf des Falles mußten die Zeugen vorerst abtreten. Später wurde auf eine Vernehmung der Zeugen verzichtet, weil die Beschuldigten, wie nicht anders zu erwarten, in vollem Umfange geständig waren. Die Verhandlung selbst wurde durch den Vorsitzenden Freisler mit aller Schärfe durchgeführt. Besonders aufgefallen ist mir dabei, daß die Angeklagten kaum zu Wort kamen, sofern man einzelne Bemerkungen derselben nicht mit bissigen Worten abtat. Während der Verhandlung bemerkte ich, daß ein älteres Ehepaar in den Gerichtssaal drängte. Erst später erfuhr ich, daß dies die Eltern der Geschwister Scholl gewesen sind. Bekannt ist mir noch, daß Hans Scholl als Schlußwort ungefähr ausführte, daß er rückhaltlos zu seiner Tat stehe und daß der Tag komme, an dem jene auf der Anklagebank säßen, die sich heute als Richter aufspielten. Ich glaube sogar, daß dieses Schlußwort noch drastischer war. Es hat vielleicht sogar gelautet "Heute hängt ihr uns und morgen werdet es ihr sein" oder ähnlich.
Mit der Überstellung der Beschuldigten zum Gerichtsgefängnis und der Vorführung zur Verhandlung bzw. der Wiedereinlieferung in Stadelheim nach der Verhandlung hatte ich nichts zu tun. Dies wurde vom Gefängnispersonal und der blauen Polizei besorgt.
Am Nachmittag nach der Gerichtsverhandlung - 22.2.43 - etwa zwischen 14 und 15 Uhr begab ich mich nochmals ins Gefängnis in Stadelheim, wo ich erstmals mit den Eltern des Geschwisterpaares Scholl zusammentraf. Als ich auf dem Weg zu Sophie Scholl über den Flur des Gefängnisses ging, kam ich zufällig an Hans Scholl vorbei, der von einem Wärter vom Besuchszimmer vermutlich in seine Zelle geführt wurde. Ungeachtet der Aufsicht kam Hans Scholl auf mich zugelaufen, schüttelte mir die Hand mit den Worten, er habe gerade seinen Eltern aufgetragen, mir den Dank dafür auszusprechen, weil ich seine Schwester so gut behandelt habe, er sei nun froh darüber, diesen Dank persönlich abstatten zu können. Ich war darüber derart gerührt, daß ich kein Wort sagen konnte. Es sei denn, daß ich noch die Worte hervorbrachte: "Seien Sie auch jetzt stark."
Sophie Scholl traf ich in der Wärterinnen-Zelle, wohin man sie nach dem Besuch ihrer Eltern gebracht hatte, erstmals seit ich mit ihr in Berührung kam, weinend. Sie entschuldigte sich ihrer Tränen, indem sie mir mitteilte: "Ich habe mich gerade von meinen Eltern verabschiedet und Sie werden begreifen." Wie mir um diese Stunde selbst zumute war, kann man aus dem Zusammenhang ermessen.
Nach einigen Worten des Trostes habe ich mich von Sophie Scholl verabschiedet. Ich kann nur wiederholen, daß dieses Mädel, wie auch ihr Bruder, eine Haltung bewahrt hat, die sich nur durch Charakterstärke, ausgeprägte Geschwisterliebe und eine seltene Tiefgläubigkeit erklären läßt. Wie mir aus der Vernehmung erinnerlich, befaßten sich Sophie und auch Hans Scholl neben ihrem Studium eingehend mit Rehgions-Philosophie, ja ich hatte den Eindruck, daß sie in religiöser Hinsicht eigene Wege gingen. Wie dem auch sei, jedenfalls waren sie tiefgläubig.
Meinem früheren Bericht habe ich nachzutragen, daß wenige Tage nach der Verurteilung der Geschwister Scholl und Christoph Probst von Berlin aus die sogenannte "Sippenstrafe" [Sippenhaft] verfügt wurde. Eine derartige Maßnahme war uns bis dahin völlig fremd. Nach dieser Anordnung sollten die nächsten Angehörigen der Verurteilten in Schutzhaft genommen und ohne Ansehung der Person in ein KZ eingeliefert werden. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß wir alle über diese willkürliche, durch kein Gesetz gerechtfertigte Maßnahme entsetzt waren. Im Zuge dieser Anordnung wurden auch die Eltern Scholl in Ulm festgenommen...
So begab ich mich in das Gefängnis in Ulm, wo ich mir Robert Scholl zur Vernehmung vorführen ließ. Daß Herr Scholl - Vater - von den Vorgängen in München keine Ahnung hatte, habe ich bei meiner Vernehmung als gegeben unterstellt. Deshalb brauchte ich darauf überhaupt nicht einzugehen. Mir kam es lediglich, wie im Falle Sophie Scholl, auf eine Erklärung an, die darin gipfelte, daß Robert Scholl gesinnungsmäßig und nach seiner politischen Überzeugung mit dem Hochverratsfall nicht das mindeste zu tun haben kann. Meine Bemühungen in dieser Richtung schlugen fehl, denn Robert Scholl bewahrte mir gegenüber eine Haltung, die derjenigen seiner beiden Kinder in jeder Hinsicht gerecht wurde. Hätte ich das zu Papier gebracht, was mir der Vater Scholl als politische Meinung und Perspektive für die Zukunft unverblümt zum Ausdruck brachte, dann mußte mein Vorhaben zwangsläufig in das Gegenteil von dem umschlagen, was mir als Ziel meiner Aktion vorschwebte. Man hätte auch Robert Scholl den Prozeß gemacht und auch verurteilt. Mindestens aber hätte er als KZ-Häftling das schlimmste befürchten müssen. Ich habe bei dieser Sachlage bedauert, in dieser Angelegenheit zu keinem Erfolg gekommen zu sein. So mußten wir uns auf die Feststellung beschränken, daß nach dem Ergebnis der angestellten Ermittlungen die Eheleute Scholl, wie auch deren Tochter Inge, mit dem Hochverratsfall Scholl nicht das mindeste zu tun hatten. Dies allein reichte jedoch nicht aus, die Aufhebung der bereits verfügten Schutzhaft zu betreiben. ...
19.2.1951
Quelle: Inge Scholl, Die weiße Rose, Frankfurt/Main 1952
Robert Mohr um 1933
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Robert Mohr war der Mensch, mit dem Sophie Scholl - abgesehen von ihrer Zellengenossin Else Gebel - in den letzten fünf Tagen ihres Lebens den intensivsten Kontakt hatte. Seine Erinnerungen an Sophie Scholls letzte Lebenstage hielt er 1951 in einem Bericht fest, den er auf Wunsch ihres Vaters Robert Scholl schrieb und den ihre Schwester Inge Scholl ein Jahr später in ihrem Buch "Die weiße Rose" gekürzt veröffentlichte.
Mohr kam 1897 als Sohn eines Maurermeisters zur Welt. Er hatte fünf Brüder und drei Schwestern. Zunächst absolvierte er eine Ausbildung als Schneider. Nach dem 1. Weltkrieg, aus dem er unversehrt und mit dem Eisernen Kreuz II ausgezeichnet zurückkehrte, schied er am 11.5.1919 aus der Wehrmacht aus. Am 1.10.1919 trat er bei der bayerischen Gendarmerie ein.
Robert Mohr mit Sohn Willi und Frau Martha um 1942
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1933 trat er in die NSDAP ein. Laut Parteiakte hatte er die Mitglieds-Nr. 3.271.936 und war Mitglied in verschiedenen nationalsozialistischen Verbänden: Kraftfahrerkorps, Volkswohlfahrt, Reichsbund der Deutschen Beamten, Reichsluftschutzbund und Kolonialbund.
Mohr wurde in den 1930-er Jahren Polizeileiter in Frankenthal. 1938 wechselte er zur Gestapo. 1943 wurde er Leiter der Sonderkommission, die in München die regimekritische Flugblattpropaganda unbekannter Herkunft aufklären sollte. Er führte als Kriminalobersekretär die Vernehmung von Sophie Scholl durch. Nach Abschluss der Ermittlungen gegen die Weiße Rose wurde Mohr nach einem Kurs an der Höheren Polizeischule in Berlin Chef der Gestapo oder der Kriminalpolizei im elsässischen Mulhouse.
Robert Mohr (Alexander Held) im Film "Sophie Scholl - Die letzten Tage" (2005).
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Inwieweit Mohr in diesem Bericht versuchte, seine Rolle möglichst vorteilhaft darzustellen, ist nicht rekonstruierbar. Es ist anzunehmen, dass Robert Scholl Mohrs Schilderungen grundsätzlich gebilligt hat. Sein Bericht steht jedenfalls zu dem fast vierzig Jahre später wiederentdeckten Vernehmungsprotokoll nicht im Widerspruch. Auch mit den Erinnerungen von Else Gebel sind Mohrs Ausführungen kompatibel. Seine Darstellung, wie er Sophie Scholls Vater nach dessen Vernehmung in Ulm schützte, wäre sicherlich nicht von Inge Scholl veröffentlicht worden, wenn sie nicht der Wahrheit entspräche.
Quellen: Parteiakte im ehemaligen Archiv der NSDAP, Bundesarchiv "Berlin Document Center" (BA BDC); Bericht an Robert Scholl (vollständige Version), Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ, Fa 215 Bd. 3)
Sophie Scholl
Das letzte Flugblatt der Weißen Rose
Vernehmungsprotokoll der Sophie Scholl
Todesurteil der Sophie Scholl
So ein herrlicher sonniger Tag, und ich muss gehen
Vergleich Lubbe - Elser - Schulze-Boysen - Scholl - Stauffenberg