Waren Secret Service und Otto Strasser die Geldgeber von Georg Elser?

4.000 Reichsmark vom britischen Geheimdienst / Phantasieprodukt von Henri A. Bulhof

In einer bisher unveröffentlichten Biographie des britischen Geheimdienstoffiziers Sigismund Payne Best beschreibt ein niederländischer Freund von Best, wie Georg Elser in Zürich 4.000 RM erhielt, um ein Attentat auf Hitler auszuführen. Otto Strasser, der ja auch von der nationalsozialistischen Presse als Drahtzieher Elsers beschuldigt wurde, hatte das Treffen eingefädelt. Der Niederländer Henri A. Bulhof beruft sich dabei auf Tagebücher von Best.


VON PETER KOBLANK (2005)

Sigismund Payne Best in Den Haag (1939). Quelle: Bridget Payne Best
"Es war im Frühjahr 1960, inzwischen mehr als 30 Jahre her, als ich Sigismund Payne Best wiedersah und mit ihm im Garten seines Hauses in Calne Erinnerungen austauschte."

So beginnt die bis heute unveröffentlichte Biografie über den SIS-Agenten, der in den 1930-er Jahren die legendäre Organisation Z des Secret Intelligence Service in den Niederlanden leitete 1.

Henri A. Bulhof, Autor dieser 1991 entstandenen Best-Biografie, weiß mehr über den Topspion, als das, was Best in seinen Memoiren, die in den 1950-er Jahren ein Bestseller waren 2, selbst über sich preisgegeben hat.

Henri A. Bulhof (* 8.8.1928 in Den Haag, † 13.10.2009 in Doorwerth) war Offizier bei der Niederländischen Armee. Später war er Manager bei der KLM sowie auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Rhein.
Auf Grund seiner Aktivitäten bei der "British Military Historical Society" lernte er Sigismund Payne Best in den 1950-er Jahren kennen. Eine freundschaftliche Beziehung verschaffte Bulhof Einblick in die Vergangenheit des geheimnisvollen SIS-Agenten.
Captain Sigismund Payne Best (*14.4.1985, †21.9.1978) leitete in der zweiten Hälfte der 1930-er Jahre die Organisation Z des SIS in den Niederlanden. Best operierte in der Tarnung eines britischen Geschäftsmanns. Er trat als Geschäftsführer der Firmen "Pharmisan" und "Continental Trade Service" 3 mit Sitz in Den Haag auf. Er war mit einer relativ bekannten niederländischen Malerin verheiratet und pflegte Kontakte bis ins Königshaus.

Venlo-Zwischenfall

Ein deutsches Spezialkommando unter Leitung von Alfred Naujocks, der einige Monate zuvor den Überfall auf den Sender Gleiwitz arrangiert und damit den Zweiten Weltkrieg eingeleitet hatte, kidnappte Best und einen weiteren Secret Service-Agenten im November 1939 beim sogenannten Venlo-Zwischenfall an der deutsch-niederländischen Grenze.

Hotel "Baur au Lac" Die Lounge des Hotels "Baur au Lac" in Zürich. Hier sollen sich Captain Sigismund Payne Best, Otto Strasser und Georg Elser am 14.12.1938 getroffen und Elser 4.000 RM erhalten haben.
Ein paar Tage später wurden Best und der mit ihm nach Deutschland verschleppte Secret-Service-Major Richard Henry Stevens der erstaunten Weltöffentlichkeit als Drahtzieher des Bürgerbräuattentats präsentiert: Um nur 13 Minuten hatte die Bombe von Georg Elser am 8.11.1939 den Führer Adolf Hitler verfehlt. Auftraggeber von Elser war, so der Goebbels-Propagandaapparat, der britische Geheimdienst.

Nachdem er von Venlo aus nach Deutschland verschleppt worden war, verbrachte Best über fünf Jahre als Sonderhäftling in deutschen KZ's und kam erst kurz vor Kriegsende frei. 1950 veröffentlichte er seine Memoiren unter dem Titel The Venlo Incident.

Bulhofs Best-Biografie: Neue Fakten über Georg Elser?

Henri A. Bulhof hat seine 175-seitige, bisher unveröffentlichte Best-Biografie im Vorwort auf 1991 datiert. Interessant für den Fall Elser: Bulhof beschreibt Zusammenhänge zwischen Sigismund Payne Best, Otto Strasser und Georg Elser. Bei einem Treffen am 14.12.1938 in Zürich soll Elser 4.000 RM für das Attentat erhalten haben.

Otto Strasser  
Otto Strasser

Otto Strasser war ein ehemaliger NSDAP-Funktionär, der sich 1930 mit Hitler überworfen hatte, aus der Partei ausgeschlossen wurde und das Dritte Reich vom Exil aus bekämpfte. Er wurde von der nationalsozialistischen Propaganda - in einem Atemzug mit dem britischen Geheimdienst - als Auftraggeber für Georg Elsers Attentat verantwortlich gemacht.

Würde stimmen, was Bulhof schreibt, wäre das die Bestätigung von längst widerlegten Gerüchten über Georg Elser, dessen Alleintäterschaft inzwischen als erwiesen gilt. Er hätte dann doch Drahtzieher gehabt, wie die NS-Propaganda von Anfang an behauptet hatte.

Georg Vollmer und Manfred Maier besuchen Henri A. Bulhof

Schon seit einigen Jahren besteht ein loser Kontakt zwischen Bulhof und Georg Vollmer, dem Sohn des Steinbruchbesitzers in Königsbronn, bei dem Georg Elser im Frühjahr 1939 den Sprengstoff für sein Attentat entwendet hatte. Vollmer hat in der Vergangenheit Gerüchte über Hintermänner Elsers in die Welt gesetzt, ohne jemals Beweise vorlegen zu können. Unter anderem behauptete Vollmer 2001 in der Heidenheimer Neuen Presse 4:

"Elser war Teil einer internationalen Widerstandsgruppe, in der sich Menschen unterschiedlichster politischer Schattierungen versammelt hatten, um Hitlers Einfluss in Europa zu begrenzen." In dieser Widerstandsgruppe seien sowohl die Königsbronner Georg Elser und Karl Kuch als auch die britischen Geheimagenten Sigismund Payne Best und Richard Henri Stevenson sowie der ehemalige Hitler-Wegbegleiter Otto Strasser versammelt gewesen.

In diesem Pressebericht kündigte Vollmer an, nunmehr "entscheidende Quellen für die Richtigkeit seiner Theorie vorweisen zu können."

Im Oktober 2005 fuhr Georg Vollmer in die Niederlande zu Henri A. Bulhof, der in der Nähe von Arnhem lebt. Er reiste in Begleitung von Manfred Maier vom Georg-Elser-Arbeitskreis Heidenheim, der die voraussichtlich sensationellen Funde begutachten und bezeugen sollte.

Das Treffen zwischen Vollmer, Maier und Bulhof fand am Mittwoch, 19.10.2005 in Doorwerth, rund zehn Kilometer westlich von Arnhem, in der Wohnung des 77-jährigen Geschichtsforschers statt. Bulhof überließ dem Georg-Elser-Arbeitskreis eine Abschrift seiner unveröffentlichten Best-Biografie. Darüberhinaus gewährte er uneingeschränkten Einblick in seine Sammlung von Dokumenten und Quellen. Dieses Bulhof-Archiv umfasst unter anderem:

  • Tagebuch-Abschriften von Bests zweiter Ehefrau, der niederländischen Malerin Maria Margaretha Payne Best-Van Rees ("May")
  • Eine synoptische Abschrift des Tagesbuchs von May aus dem Jahr 1941 und dem Tagebuch ihres Mannes, das dieser zur gleichen Zeit im KZ Sachsenhausen geführt hat
  • Aufzeichnungen und Briefe von Best, u.a. auch Briefwechsel mit Major Richard Henry Stevens, der zusammen mit ihm in Venlo gekidnappt wurde
  • Fotos, alte Zeitungsausschnitte, Personenlisten u.v.m.

Die Tagebücher von Bests Ehefrau May bieten naturgemäß wenig Erkenntnisse, da sie über Details der geheimdienstlichen Tätigkeit ihres Mannes nicht informiert war. Bezüglich Georg Elser beschränkt sich das Archiv von Bulhof im wesentlichen auf Kopien von Zeitungsausschnitten ab 1939. Es sind keine Dokumente dabei, die Neuigkeiten über Elser beinhalten.

Bulhofs in niederländischer Sprache verfasste Best-Biografie wurde inzwischen sorgfältig Seite für Seite durchgearbeitet. Die für den Fall Elser relevanten Teile wurden digitalisiert und schriftlich ins Deutsche übersetzt.

Best-Biografie: Treffen Best/Strasser/Elser am 14.12.1938


Bests zweite Ehefrau May mit Pflegesohn Enzo am 30. Juni 1939 in Paris. Quelle: Archiv Bulhof
Bulhof berichtet in seiner Best-Biografie ab Seite 66 von einer Reise, die Payne Best mit seiner zweiten Ehefrau, der niederländischen Malerin Maria Margaretha Payne Best-Van Rees ("May") und dem gemeinsamen 12-jährigen Pflegesohn Enzo Bonopera vom 10.12.1938 bis 31.12.1938 unternahm. Die Reise führte von Den Haag nach Köln, Bad Schwalbach, Eltville, München, Basel, Évian-les-Bains, München, Nürnberg, Berlin, Schwerin, Lübeck, Blankenese und wieder zurück nach Den Haag.

Diese Reise, die in erster Linie geheimdienstlichen Treffen diente, an denen Best selbstredend allein beteiligt war und über die seine Frau keinerlei Detailkenntnis besaß, verknüpfte er mit privaten Besuchen bei Bekannten und Verwandten.

In Basel trennte sich die Familie. May und Enzo reisten nach Évian-les-Bains am Genfer See, wo die Eltern von Enzo lebten, voraus. Best kam erst zwei Tage später nach. Bulhof schreibt:

Dienstag, 13. Dezember: Am frühen Abend bringt Payne Best seine Frau und Enzo mit dem Auto zum Hauptbahnhof (SBB) von Basel. Ab hier sollten May und Enzo mit dem Zug um 19.55 Uhr über Biel nach Lausanne reisen um anschließend von Ouchy den Genfer See mit dem Schiff nach Évian-les-Bains zu überqueren.

Évian-les-Bains Évian-les-Bains (Frankreich) am Genfer See
Das Tagebuch von Bests Ehefrau May bestätigt, dass Best sie in Basel zum Zug brachte.5 May und Enzo reisten nach Lausanne. Vom Hafen von Lausanne-Ouchy aus überquerten sie den Genfer See zur gegenüberliegenden französischen Seite des Sees nach Évian-les-Bains.

Den 14. Dezember verbrachten sie und Enzo in Évian-les-Bains bei Enzos leiblichen Eltern, der Familie Bonopera. Bests Frau war selbstverständlich über die näheren Umstände der Tätigkeit ihres Manns nicht informiert. In ihrem Tagebuch können daher auch keinerlei Hinweise auf seine geheimdienstlichen Aktivitäten erwartet werden.

Zurück zu Payne Best, der in Basel geblieben war. Bulhof schreibt:

Bevor er seine Fahrt fortsetzt, stattet Sigismund in Basel erst noch einen Besuch bei Sir Frank Nelson, einem der Schweizer "Z"-Agenten ab. Gegen Abend kommt er in Zürich an, wo die herannahenden Weihnachtstage an den festlich erleuchteten Einkaufsstraßen der Innenstadt erkenntlich sind. Durch die Bahnhofstraße fährt er zur Talstraße. Hier liegt mit der Haus-Nr. 1, entlang den Schanzengruben, dicht beim Zürcher See das stattliche, majestätische und von jeher renommierte Hotel "Baur au Lac". Hier wird Payne Best übernachten.

Ein nebliger Tag und eine Temperatur etwa um den Nullpunkt. Es ist Mittwoch, 14. Dezember, der Geburtstag von König Georg VI., aber das spielt für Captain Payne Best an diesem Tag keine große Rolle.

In der Hotelhalle warten um halb drei am Nachmittag zwei Personen auf ihn, wie im Vorfeld vereinbart. Es sind Otto Strasser und Johann Georg Elser. [...]

  Hotel "Baur au Lac"
   Hotel "Baur au Lac", Talstraße 1 in Zürich

Es war - im Hotel "Baur au Lac" - der erste persönliche Kontakt, den Captain Payne Best mit Otto Strasser und Johann Georg Elser (letztere kannten sich bereits) hatte. Dort wird beschlossen, dass Elser die Situation im Bürgerbräukeller im Frühling 1939 wieder aufgreifen soll und dass weitere Vorbereitungen für einen möglichen Anschlag auf Adolf Hitler folgen sollen.

Die 4.000 Reichsmark, die für einen derartigen Anschlag Elser zur Verfügung gestellt werden, waren zwar eine Aufstockung seiner spärlichen finanziellen Mittel, aber von viel größerer Bedeutung war Elsers feste Entschlossenheit, Hitler umzubringen.

Nach einem extra zeitigen Frühstück verlässt Payne Best am Donnerstag, 15. Dezember beim Morgengrauen das Hotel "Baur au Lac" und fährt über Montreux, Villeneuve, Chessel en Port Valais nach Évian-les-Bains, wo er sich May und Enzo anschließt und der Familie Bonopera erstmals begegnet.

Vergleich der Aufzeichnungen von May und Sigimund Payne Best

Trotz scheinbar hoher Detailgenauigkeit steht die Biografie mit dem Tagebuch der Ehefrau hier nicht ganz im Einklang. Im Tagebuch von Bests Ehefrau May steht, dass sie am Abend des 14. Dezember "an Sigismund in Lausanne" telegrafiert hat. Ihr Mann sei am nächsten Morgen, offensichtlich von Lausanne aus, über Montreux um den See herum gefahren und um 10:30 Uhr in Évian-les-Bains eingetroffen. 6

Sigismund Payne Best (um 1950) Best (um 1950) Quelle: Best
Laut Bulhofs Biografie hat Best jedoch am Mittwoch in Zürich übernachtet und ist am Donnerstag morgen auf einer Strecke nach Évian-les-Bains gefahren, in der Lausanne nicht erwähnt wird, weil dies von Zürich aus einen Umweg bedeutet hätte. Das Telegramm vom Mittwochabend in Lausanne hätte er dann aber niemals zu sehen bekommen, obwohl es im Tagebuch von Bests Ehefrau May ausdrücklich erwähnt wird.

In Bulhofs Archiv befindet sich die Kopie einer handschriftlichen Aufzeichnung von Best, in der dieser höchstpersönlich, allerdings erst zu einem unbekannten späteren Zeitpunkt, den Reiseverlauf aufgezeichnet hat.


Reiseverlauf ab 11. Dezember 1938 gemäß Bests eigenen Aufzeichnungen. Quelle: Archiv Bulhof

Bests Datumsangaben weichen bereits ab Reisebeginn von denen seiner Frau ab. Falls Mays zeitnah vorgenommenen Tagebucheintragungen von der Datierung her zutreffend wären, würde das bedeuten, dass Sigismund die exakten Datums der Reise im Nachhinein ungenau rekonstruiert hat.

Doch nach eigener Erinnerung hielt sich Best nach der Trennung in Basel (laut Best am 11. Dezember) weiterhin in Basel auf und fuhr später nach Ouchy, dem Hafen von Lausanne, weiter. Zürich wird, ebenso wenig wie im Tagebuch von Bests Ehefrau May, mit keinem Wort erwähnt. Von Lausanne-Ouchy fuhr er (laut Best am 14. Dezember) morgens nach Évian-les-Bains, um sich wieder May und Enzo anzuschließen. Somit wäre er am Vorabend vor seinem Eintreffen in Évian-les-Bains in Lausanne gewesen und hätte dort das Telegramm seiner Frau empfangen können.

Auch wenn Zweifel an Bests Datumsangaben angebracht sind: Von einem Treffen mit Strasser und Elser in Zürich ist in Bests eigenhändiger Aufzeichnung jedenfalls nicht die Rede.

Best-Biografie: Elsers Verhaftung am 8.11.1939

Bulhof berichtet in seiner Best-Biografie ab Seite 94 von Elsers Verhaftung in Konstanz am 8.11.1939:

Abends um 20:45 Uhr wird im Garten des "Wessenbergschen Erziehungsheims" in Konstanz durch den Zöllner Xaver Reitlinger ein Mann angehalten, der versuchte, illegal die Schweizer Grenze zu überqueren.

Es ist Johann Georg Elser, den wir noch von der Begegnung in der Lounge des Hotel "Baur au Lac" in Zürich kennen.

Nachdem sie ihn zum Zollposten mitgenommen hatten, fand man in seinen Sachen verschiedene Gegenstände, darunter eine Zange, Skizzen von Bomben und Zünderentwürfen, eine Ansichtskarte vom Inneren des Bürgerbräukellers und unter seinem Revers ein Abzeichen vom früheren Rotfrontkämpferbund.

Auf der Schweizer Seite der Grenze, in der Kreuzlingerstraße, sahen die deutschen Zöllner einen Mann in einer hellen Regenjacke, der offensichtlich da stand, um auf Elser zu warten. Es war Otto Strasser.

Später, am Abend des 13. November, bestätigte Elser - 36 Jahre alt, Uhr- und Werkzeugmacher, wohnhaft in München - dass er eine selbstgemachte Bombe entworfen, zusammengebaut und installiert hat, wobei er großes fachmännisches Können bewies. Weiterhin erklärte er, dass er zehn Jahre zuvor Mitglied im Rotfrontkämpferbund geworden war und dass er sich schon im Jahr zuvor - in 1938 - mit der Planung beschäftigt habe, Hitler umzubringen. Obwohl Elser sagte, alles allein getan zu haben, konnten weder die Zollbeamten, noch die Gestapoagenten aufhören, an den Mann in der hellen Regenjacke zu denken, der auf dem sicheren Schweizer Boden stand und wartete, und dessen Foto und Beschreibung an der Wand des Zollpostens hing.

Bulhof liefert keine Beweise

Für das angebliche Treffen von Best, Strasser und Elser im Hotel "Baur au Lac" in Zürich sowie für die Anwesenheit Strasser an der Schweizer Grenze werden von Bulhof keinerlei Quellen oder Beweise vorgestellt. In Bulhofs Archiv finden sich keinerlei Indizien für diese Aussagen.

Bulhofs Darstellung ähnelt der Propaganda der Nationalsozialisten, die ebenfalls den Secret Service und Otto Strasser als Drahtzieher Elsers beschuldigten und ebenfalls keine Beweise dafür vorzulegen vermochten.

Schweizer Polizei: Strasser war am 14.12.1938 nicht in der Schweiz

Ein Blick in die heute noch vorhandenen historischen Quellen zum Fall Elser entlarvt das angebliche Treffen Best-Strasser-Elser am 14.12.1938 in Zürich, von dem Bulhof in seiner jetzt bekannt gewordenen Best-Biografie berichtet, als reine Fiktion: Denn Otto Strasser war am 14.12.1939 überhaupt nicht in der Schweiz.

Dies ergibt sich aus dem Ermittlungsbericht der Schweizer Polizei, den diese auf Anfrage der Gestapo im Frühjahr 1940 zum Fall Elser angefertigt hat 7. Hier der Abschnitt zum Aufenthalt Strassers in der Schweiz mit den Fragen der Gestapo auf der linken und den Antworten aus der Schweiz auf der rechten Seite:

1.)  Welches waren die genauen Aufenthaltszeiten des Otto Strasser, zeitweise alias Otto Baumann, geb. 9.8.96 Hermanstadt u. Dannhauser in der Schweiz?

Welche Reisen unternahm er von dort?

Wann verließ er die Schweiz zuletzt?

Auf welchem Wege?

Warum? (freiwillig oder gezwungenermaßen?)

Mit wem?

1. Otto Strasser hat sich während den nachstehend aufgeführten Zeiten in der Schweiz aufgehalten:

1. Oktober 1938 - 10. Oktober 1938
19. Oktober 1938 - 7. November 1938
16. Dezember 1938 - 15. Februar 1939
13. März 1939 - 13. November 1939

Feststellungen haben ergeben, dass er am 10. Oktober 1938, am 7. November 1938 und am 15. Februar 1939 von der Schweiz aus nach Frankreich gereist ist.

Nachdem die Schweizer Behörden Ende Oktober 1939 feststellten, dass Dr. Strasser in einer ausländischen Zeitung gegen den deutschen Reichskanzler polemisierte und sich auch über das Verhältnis Deutschlands zur Schweiz ausliess, wurde dessen sofortige Ausreise verfügt, welcher Beschluss ihm anfangs November 1939 eröffnet wurde. Seine endgültige Ausreise erfolgte am 13. November 1939, an welchem Tage er mit einem Personenwagen an die französische Grenze geführt wurde. Otto Strasser hat die französische Grenze allein überschritten.

Ein Treffen am 14.12.1938 in Zürich, an dem Strasser teilgenommen haben soll, der aber in Wirklichkeit zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht in der Schweiz war, ist offensichtlich ein Phantasieprodukt.

Schweizer Polizei: Strasser war am 8.11.1939 nicht an der Grenze zu Konstanz

Gleichermaßen unwahr ist die Behauptung, am 8.11.1939 habe Strasser an der Schweizer Grenze auf Elser gewartet. Der Zollposten, der Elser am Abend des 8.11.1939 in Konstanz aufgriff, hieß auch nicht Xaver Reitlinger. Diesen Namen hat Bulhof offensichtlich aus der Elser-Biographie von Helmut Ortner 8 übernommen, aber übersehen, dass Ortner "aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes alle Namen - außer denen zeitgeschichtlicher Personen und der Familienangehörigen Elsers - geändert und mit Pseudonymen versehen" hat.

In Wirklichkeit handelte es sich um den Zollassistenten Xaver Rieger. Dieser erwähnte in seinem Bericht vom 15.12.1939 9 tatsächlich einen Mann in einem hellen Mantel, der sich auf der Schweizer Seite auffällig verhalten hatte:


Auszug aus dem Bericht des Zollassistenten Xaver Rieger vom 15.12.1939

Wer dort aus welchem Grund auch immer auf der Schweizer Seite der Grenze gewesen sein mag: Otto Strasser war es nicht. Dies hat der Zollassistent Rieger ja auch nicht behauptet. Lediglich die Nazipropaganda - und nun einige Jahrzehnte später Bulhof - haben die Story vom an der Grenze auf Elser wartenden Strasser kolportiert.

Otto Strasser wurde 1939 von der Schweizer Polizei observiert. In seinem Dossier findet sich folgender Bericht:

Mittwoch, den 8. November 1939

An diesem Tage war Dr. Strasser auswärts und musste abends 19 Uhr von dem aus Richtung Zürich in Herrliberg ankommenden Zuge durch die Garage Keller in Herrliberg abgeholt werden. Die Fahrt ging lediglich vom Bahnhof Herrliberg bis zur Wohnung Dr. Strassers in Wetzwil, später musste die Garage Keller für Dr. Strasser keine Fahrt mehr machen. 10

Strasser war demzufolge am 8.11.1939 nach 19 Uhr in Herrliberg-Wetzwil, etwa 13 km südlich von Zürich, 84 km von der Schweizer Grenze bei Konstanz entfernt. Das Vernehmungsprotokoll von Strassers Frau bestätigt dies: "Zur Zeit des Attentats befand sich mein Mann bei mir in Wetzwil." 11.

Otto Strasser hat zeitlebens - auch nach dem Zweiten Weltkrieg - vehement bestritten, Drahtzieher des Bürgerbräuattentats gewesen zu sein, wie von der NS-Propaganda behauptet.

Bests angebliche Elser-Kassiber

Bests Memoiren The Venlo Incident enthalten eine verblüffende Parallele zu Bulhofs Biografie. Best behauptet dort, er habe im KZ Sachsenhausen von Elser Kassiber erhalten. In einer dieser heimlichen Botschaften habe Elser berichtet, wie er von der Gestapo für einen künftigen Prozess gegen den britischen Geheimdienst präpariert worden sei. Best schreibt in seinen Memoiren:

Elser würde bei dem Gerichtsverfahren erklären müssen, dass er seit langer Zeit mit Otto Strasser in der Schweiz in Verbindung stand und als sein Kurier nach und von Deutschland agiert habe. Im Dezember 1938 habe Strasser ihn nach Zürich in das Hotel Bauer au Lac beordert, ihn dem Engländer Best vorgestellt und ihm gesagt, er solle künftig für die Briten arbeiten, die entschlossen waren, Hitler los zu werden und die sicherlich mehr erreichen konnten als er selbst. Elser hatte daher seine Befehle künftig von Captain Best entgegenzunehmen, der in Holland lebte, und es wurden Vereinbarungen getroffen, dass sie über die niederländische Grenze miteinander kommunizieren konnten. Der Engländer überreichte Elser tausend Schweizer Franken in Banknoten als Anzahlung.

Während der folgenden Monate hielt er regelmäßigen Kontakt zu Captain Best und handelte als Kurier zwischen ihm und anderen Agenten in Deutschland. Auf diesem Weg erhielt der britische Geheimdienst wertvolle Informationen bezüglich der deutschen Wiederbewaffnung und für diese Arbeit wurde er sehr gut bezahlt. Im Oktober 1939 traf er Captain Best in Holland in einem Ort namens Venlo und erhielt dort Anweisungen, eine Bombe im Bürgerbräukeller in München unterzubringen mit dem Versprechen, wenn er dies tun werde, einen Betrag von 40.000 Schweizer Franken als Belohnung zu erhalten. Zunächst habe er abgelehnt, irgendetwas damit zu tun zu haben, aber Best übte Druck auf ihn aus und ließ ihm keine andere Wahl, als entweder zu tun, was man ihm auftrug, oder an die Gestapo als britischer Agent verraten zu werden. Letztlich stimmte er der Forderung zu und erhielt eine Adresse in Deutschland, wo er seine abschließenden Instruktionen empfangen und die Höllenmaschine erhalten würde. Er sollte dann in seiner Zeugenaussage erklären, wie er etwa vier Wochen vor dem für die Explosion festgelegten Datum zum Bürgerbräukeller ging und wenig Schwierigkeiten dabei hatte, sich dort zu verstecken, um seine Arbeit während der Nacht zu verrichten. Er baute die Bombe in eine der Säulen, wie man ihn instruiert hatte, zog aber nicht die Uhr auf, die den Zünder auslösen sollte, da diese erst zehn Tage später in Gang gesetzt werden konnte. Er war daher genötigt, Ende Oktober dem Keller einen zweiten Besuch abzustatten, um die Uhr ordnungsgemäß aufzuziehen und zu stellen. Er hatte keine Schwierigkeiten, dies zu tun, da er nachmittags hinging, als der Schauplatz ziemlich verlassen war.

Man gab Elser eine Schreibmaschinenkopie dieser Geschichte, die eine Menge weiterer Details über die Arbeit, die er angeblich für Strasser und mich erledigt hatte, beinhaltete und man sagte ihm, er solle dies auswendig lernen. Anschließend wurde er mehrmals geprüft, um zu sehen, ob er es wortgetreu wiedergeben konnte.

Es ist erwiesen, dass Elsers Kassiber von Best frei erfunden sind. Diese angeblichen Informationen von Elser waren jedoch geeignet, die Auflagenhöhe von Bests Memoiren zu steigern. Der oben zitierte - von Best frei erfundene - Text hat möglicher Weise Bulhof inspiriert.

Ergebnis für die Georg-Elser-Forschung

Sigismund Payne Best (1960 oder später) Sigismund Payne Best (um 1960). Quelle: Archiv Bulhof
Bei allem Respekt vor Henri A. Bulhofs übrigen Forschungsergebnissen zu Sigismund Payne Best: Er wäre gut beraten, seine Best-Biografie im Hinblick auf die angebliche Verbindung zwischen Best, Strasser und Elser im Vorfeld einer eventuellen Veröffentlichung nochmals zu überdenken.

Georg Vollmers im Jahr 2001 vorgetragene Hoffnung, dass sich seine Theorien und Spekulationen zum Fall Elser, insbesondere auch im Zusammenhang mit Karl Kuch 12, nun irgendwann doch bestätigen würden, hat sich endgültig zerschlagen.

Manfred Maier vom Georg-Elser-Arbeitskreis: "Schriftlichen Quellen und Aussagen von Zeitzeugen lassen nur einen Schluss zu: Georg Elser war ein Einzeltäter. Sollten aber eines Tages wider Erwarten Beweise für Hintermänner Elsers auftauchen, würden wir die ersten sein, die sich für eine neue Bewertung dieses einsamen, unglaublich konsequenten und dann leider doch gescheiterten Widerstandskämpfers einsetzen."

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Allerdings macht Maier auch deutlich: "Wer einfach nur haltlose Behauptungen in den Raum stellt, den können wir historisch nicht ernst nehmen."

Nichtdestotrotz wurde Henri A. Bulhofs Manuskript im Jahr 2010 vom Mosae Verlag in Venlo posthum als Paperback unter dem Titel "Sigismund Payne Best - Hoofdrolspeler in het Venlo-Incident" (deutsch: Hauptdarsteller beim Venlo-Zwischenfall) veröffentlicht. Mit einem Vorwort von Gerald Fleming, emeritierter Professor an der University of Surrey. Einschließlich der längst widerlegten Passagen über Strasser und Elser.

1Henri A. Bulhof: Biographie van Sigismund Payne Best, Unveröffentlichtes Manuskript in niederländischer Sprache, Osterbeek 1991
2Sigismund Payne Best: The Venlo Incident, London 1950
3N.V. Handelsdienst vor het Continent (Continental Trade Service), Handelsregister van de Kamer von koophandel 's-Gravenhage, Dossier Nr. 17467 (gegründet 1930, liquidiert 1941)
N.V. Maatschappij tot detailverkoop Pharmisan, Handelsregister van de Kamer von koophandel 's-Gravenhage, Dossier Nr. 19977 (gegründet 1932, liquidiert 1941)
Registerauszugskopien vom Rijksarchief in Zuid-Holland, Archiv Bulhof
4Ester Krug, Hilfe vom englischen Geheimdienst?, Heidenheimer Neue Presse 7.7.2001
5Maria Margaretha Payne Best-Van Rees: Tagebuch 1938, Archiv Bulhof
6Ebenda
7Dieser Bericht liegt in dem 4-bändigen Strasser-Dossier im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern unter der Signatur E 4320 (B) 1970/25 Bd.1-4, Dossier C.2.102
8Helmut Ortner: Der einsame Attentäter, Göttingen 1993 (Ältere Auflage: Der Einzelgänger, Rastatt 1989)
9Institut für Zeitgeschichte München, Aktenzeichen ZS/A-17 Bd.5
10Nachrichtendienst Zürich, Bericht vom 9.11.1939, Schweizerisches Bundesarchiv Bern, E 4320 (B) 1970/25, Bd.1
11Vernehmungsprotokoll von Gertrud Strasser, Polizeikommando des Kantons Zürich/Kriminalpolizei, 25.11.1939, Schweizerisches Bundesarchiv Bern, E 4320 (B) 1970/25, Bd.1
12Peter Koblank: Hat Karl Kuch das Elser-Attentats organisiert?, in: Online-Edition Mythos Elser

Sigismund Payne Best
Bulhof: Biographie von Sigismund Payne Best
Landkarte Schweiz
War Otto Strasser Drahtzieher Georg Elsers?
Georg Elsers Festnahme in Konstanz
Wartete Otto Strasser an der Schweizer Grenze?
Waren Best, Stevens, Strasser, Kuch, Himmler und Heydrich Drahtzieher Georg Elsers?
Hellmut G. Haasis: Georg Vollmers Rolle beim Elser-Attentat
Hat Karl Kuch das Elser-Attentats organisiert?
War Elser Mitglied einer kommunistischer Troika?

Dieser Artikel ist Teil der Online-Edition Mythos Elser.