Alfred Naujocks: Überfall auf den Sender Gleiwitz


  
   Reichssender Gleiwitz
Ich, Alfred Naujocks, mache unter Eid und nach vorheriger Einschwörung folgende Erklärung:

1. Ich war von 1931 bis 19. Oktober 1944 ein Mitglied der SS und von ihrer Gründung im Jahre 1934 bis Januar 1941 ein Mitglied des SD. Ich diente als Mitglied der Waffen-SS von Februar 1941 bis Mitte 1942. Später arbeitete ich in der wirtschaftlichen Abteilung der Militärverwaltung von Belgien von September 1942 bis September 1944. Am 19. Oktober ergab ich mich den Alliierten.

2. Ungefähr am 10. August 1939 befahl mir Heydrich, der Chef der Sipo und des SD, persönlich, einen Anschlag auf die Radiostation bei Gleiwitz in der Nähe der polnischen Grenze vorzutäuschen und es so erscheinen zu lassen, als wären Polen die Angreifer gewesen. Heydrich sagte: "Ein tatsächlicher Beweis für polnische Übergriffe ist für die Auslandspresse und für die deutsche Propaganda nötig." Mir wurde befohlen, mit 5 oder 6 anderen SD- Männern nach Gleiwitz zu fahren, bis ich das Schlüsselwort von Heydrich erhielt, daß der Anschlag zu unternehmen sei. Mein Befehl lautete, mich der Radiostation zu bemächtigen und sie so lange zu halten, als nötig ist, um einem polnisch sprechenden Deutschen die Möglichkeit zu geben, eine polnische Ansprache über das Radio zu halten. Dieser polnisch sprechende Deutsche wurde mir zur Verfügung gestellt. Heydrich sagte, daß es in der Rede heißen solle, daß die Zeit für eine Auseinandersetzung zwischen Polen und Deutschen gekommen sei und daß die Polen sich zusammentun und jeden Deutschen, der ihnen Widerstand leistet, niederschlagen sollten. Heydrich sagte mir damals auch, daß er Deutschlands Angriff auf Polen in wenigen Tagen erwartete.

3. Ich fuhr nach Gleiwitz und wartete dort 14 Tage. Dann bat ich Heydrich um Erlaubnis, nach Berlin zurückkehren zu dürfen, wurde aber angewiesen, in Gleiwitz zu bleiben. Zwischen dem 25. und 31. August suchte ich Heinrich Müller, den Chef der Gestapo, auf, der sich damals in der Nähe in Oppeln befand. In meiner Gegenwart erörterte Müller mit einem Mann namens Mehlhorn Pläne für einen Grenzfall, in dem vorgetäuscht werden sollte, daß polnische Soldaten deutsche Truppen angreifen ... Deutsche in der Anzahl von ungefähr einer Kompanie sollten dazu verwendet werden. Müller sagte, er hätte ungefähr 12 oder 13 verurteilte Verbrecher, denen polnische Uniformen angezogen werden sollten und deren Leichen auf dem Schauplatz der Vorfälle liegen gelassen werden sollten, um zu zeigen, daß sie im Laufe der Anschläge getötet worden seien. Für diesen Zweck war für sie eine tödliche Einspritzung vorgesehen, die von einem Doktor gemacht werden sollte, der von Heydrich angestellt war; dann sollten ihnen auch Schußwunden zugefügt werden. Nachdem der Anschlag beendet war, sollten Mitglieder der Presse und andere Leute auf den Schauplatz geführt werden; weiter sollte ein polizeilicher Bericht angefertigt werden.

4. Müller sagte mir, daß er von Heydrich Befehl hatte, einen dieser Verbrecher mir zur Verfügung zu stellen für meine Tätigkeit in Gleiwitz. Das Kennwort, mit dem er diese Verbrecher nannte, war "Konserven".

5. Der Vorfall in Gleiwitz, an dem ich teilnahm, wurde am Vorabend des deutschen Angriffs auf Polen ausgeführt. Soweit ich mich erinnere, brach der Krieg am 1. September 1939 aus. Am Mittag des 31. August bekam ich von Heydrich per Telephon das Schlüsselwort, daß der Anschlag um 8.00 Uhr abends desselben Tages zu erfolgen habe. Heydrich sagte: "Um diesen Anschlag auszuführen, melden Sie sich bei Müller wegen der Konserven." Ich tat dies und wies Müller an, den Mann in der Nähe der Radiostation an mich abzuliefern. Ich erhielt diesen Mann und ließ ihn am Eingang der Station hinlegen. Er war am Leben, aber nicht bei Bewußtsein. Ich versuchte, seine Augen zu öffnen. Von seinen Augen konnte ich nicht feststellen, daß er am Leben war, nur von seinem Atem. Ich sah keine Schußwunden, nur eine Menge Blut über sein ganzes Gesicht verschmiert. Er trug Zivilkleider.

6. Wir nahmen die Radiostation wie befohlen, hielten eine drei oder vier Minuten lange Rede über einen Notsender, schossen einige Pistolenschüsse ab und verließen den Platz.

Beschworen und unterschrieben vor Leutnant Martin.

Quelle: Affidavit (Eidesstattliche Erklärung) von Alfred Helmut Naujocks am 20.11.1945 in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgericht Nürnberg, Nürnberg 1947-1949, Bd. IV, Dok. PS 2751; zitiert in: Walther Hofer, Die Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, Stuttgart 1954


Alfred Helmut Naujocks (* 20.9 1911 in Kiel, † 4.4.1966 in Hamburg), SS-Sturmbannführer, trat 1931 in die SS ein. Von 1934 bis 1941 war er Mitarbeiter beim Sicherheitsdienst (SD), dem von Reinhard Heydrich geleiteten Geheimdienst der SS.
  • Er war für den inszenierten Überfall auf den Sender Gleiwitz am 31.8.1939 verantwortlich, der den deutschen Einmarsch in Polen begründen sollte. Nach dieser und parallel dazu durchgeführten Aktionen konnte Hitler am nächsten Morgen verkünden: "Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen!"
  • Er leitete das SS-Sonderkommando beim Venlo-Zwischenfall.
  • Er hatte die Idee, die britische Wirtschaft mit gefälschten Banknoten zu überschwemmen. Zwischen 1942 und 1945 wurden schätzungsweise 100 Millionen gefälschter Pfundnoten hergestellt und in Umlauf gebracht. Die Fälschungen waren so perfekt, dass sie fast nicht vom Originalgeld unterschieden werden konnten, die Bank of England rief nach dem Krieg alle 50-Pfund-Noten zurück und ersetzte diese durch eine neue Serie.
  • Anfang 1941 wurde Naujocks aus dem SD entlassen, weil er sich mit Heydrich überworfen hatte. Er wurde degradiert und kam im Februar 1941 als Mitglied der Waffen-SS an die Ostfront.
  • Ab September 1942 arbeitete er in der wirtschaftlichen Abteilung der Militärverwaltung von Belgien.
  • 1944 desertierte er, ergab sich am 19. Oktober 1944 den Amerikanern und sagte später bei den Nürnberger Prozessen aus.
  • Naujocks ließ sich nach dem Krieg in Hamburg nieder, wo er unbehelligt bis zu seinem Tode als Geschäftsmann lebte.

1960 schrieb der österreichische Journalist Günter Peis die Memoiren von Naujocks unter dem Titel The Man Who Started The War. Peis hatte Naujocks bereits bei den Nürnberger Prozessen kennengelernt und ihn auch in seiner Reportage Zieh dich aus, Elser zum Venlo-Zwischenfall zitiert.

PDF Der Überfall auf den Sender Gleiwitz im Jahre 1939, in: Vierteljahrhefte für Zeitgeschichte Jahrgang 10 (1962) Heft 4 S. 208-426

PDF "Großmutter gestorben", Interview mit dem ehemaligen SS-Sturmbannführer Helmut Naujocks,
Leiter der Aktion Gleiwitz, in: DER SPIEGEL Nr. 46/1963 vom 13.11.1963, S. 71-77

SS-Dienstgrade

Alfred Naujocks: Der Venlo-Zwischenfall
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