Alfred Naujocks
SS-Sturmbannführer Der Einsatzleiter
Walter Schellenberg
SS-Sturmbannführer Der Organisator
Sigismund Payne Best
Captain Eines der Opfer
Naujocks blickte zum Himmel hoch. Es würde nicht regnen. Nicht, dass es etwas ausmachen würde. Aber es würde seltsam aussehen, wenn man die Plane abnähme, damit die Insassen, wie es schien, vom Regen durchnässt würden. Auf ein Zeichen stieg einer der Männer mit ihm aus und zusammen nahmen sie das Verdeck aus Segeltuch ab. Es war, als ob man eine Dose Sardinen öffnete. Die Männer drinnen nahmen ihre Blicke nicht eine Sekunde weg von der Straße und dem Restaurant, während sie allmählich dem kalten Wind ausgesetzt waren.
Nachdem die Plane verstaut war und die Klappe befestigt, lehnte sich Alfred herüber und startete den Motor. Lässig
ging er zum hinteren Auto und sprach mit dem Fahrer. Sechs Männer kletterten heraus und stellten sich um das erste
Fahrzeug. Es waren drei Männer auf jeder Seite, und jeder hatte einen Fuß auf dem Trittbrett.
Am anderen Tage überschritt ich zwischen 13 und 14 Uhr mit meinem früheren Begleiter die holländische Grenze bei
Venlo. Draußen auf den Straßen herrschte an jenem Tag starker Verkehr, darunter auffallend viel Zivilisten,
von Polizeihunden begleitet. Ich war ein wenig nervös und bestellte in dem Venloer Cafe einen Aperitif.
Alfred stand in 1,80 Meter Entfernung und schaute auf seine Uhr: 15.15. Sie waren spät dran. Er unterdrückte das erste Lächeln an diesem Tag, ein unfreiwilliges, als er sah, welchen Anblick seine SS-Männer boten. Ein Haufen großer Männer, die alle versuchten, locker und unauffällig zu wirken, aber so aussahen, als ob sie kurz davor waren, eine Bank zu überfallen. Er hoffte, dass der große Ford die Last aushalten würde. Er ging zurück zum Auto und setzte sich auf den Fahrersitz. Er war sich der Mauer von Männern um ihn herum sehr bewusst und auch der nun offen neugierigen Blicke der Wachen und der zwei oder drei Zuschauer.
Die Minuten vergingen. Best und Stevens hätten schon ewig hier sein müssen. Was wäre, wenn niemand kam? Was für eine Enttäuschung! Ein großes Auto kam ihnen auf der Straße schnell entgegen, und seine Finger griffen das Lenkrad fester. Aber es bog vor dem Restaurant ab. Er entspannte sich nicht mehr, sondern beugte sich nach hinten, um nach dem geöffneten Koffer auf dem Boden hinter seinem Sitz zu schauen. Die drei sitzenden Mitfahrer hatten ihre Beine fest zusammengepresst, damit man jederzeit an die Gewehre kommen konnte. Er schaute den Männern ins Gesicht und grinste schwach. Aber es gab kaum eine Reaktion.
Diese Warterei war schlecht für Reflexe.
Alles andere war perfekt. Sie konnten Schellenberg sehen, und er konnte sie sehen. Sie waren auf der richtigen Seite der Grenze und würden hier bis zum letztmöglichen Augenblick bleiben. Keine verdächtig wirkenden Personen beobachteten sie. Die Schranke war oben, und er glaubte, dass es mit Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als ein und ein halb Minuten dauern würde, um das Restaurant zu erreichen. Das Auto von Best und Stevens müsste sich um eine Kurve nähern, so dass die Insassen nicht das am Wachthaus wartende Empfangskomitee sehen würden, bis sie beinahe am Restaurant waren. Und dann lag es an Schellenberg, dafür zu sorgen, dass sie ihn und nicht den Wagen hinter der Grenze ansahen. Wenn Schellenberg aufstand, war das ihr Signal.
Würden Best und Stevens kommen? Sie ließen ziemlich lange auf sich warten - die Uhr zeigte bereits 15.00, und noch
immer war nichts von ihnen zu sehen.
Plötzlich zuckte ich zusammen - blitzschnell brauste ein grauer Wagen in voller Fahrt heran. Ich war schon aufgesprungen, da packte mich mein Begleiter am Arm: "Irrtum, es ist ein anderer." Ich blickte bedenklich zum deutschen Zollhaus hinüber - würde sich das dort versteckte SS-Kommando nicht auch täuschen? Aber es blieb alles ruhig.
Genau zwanzig nach drei stand Schellenberg auf.
Schließlich bestellte ich mir einen starken Kaffee, und gerade hatte ich den ersten Schluck genommen, da stieß mich mein Begleiter an: "Jetzt kommen sie!" Wir schlenderten bewusst gemächlich nach draußen. Die Mäntel ließen wir hängen. Dem Wirt, der uns mittlerweile schon kannte, sagte ich, dass unsere Gäste eingetroffen seien.
Der zweite Wachtposten hielt uns nicht direkt an, er gab nur ein Zeichen, dass wir langsam fahren sollten. Er stand an einer
Kurve auf der Straße, genau an der Stelle, wo es auf die gerade Strecke ging, von der
man einen Blick auf die Grenze hatte.
Irgendwie schien mir alles anders auszusehen als an den vorherigen Tagen. Dann bemerkte ich, dass die deutsche Schranke über die Straße, die immer geschlossen gewesen war, jetzt oben war; nichts schien zwischen uns und dem Feind zu sein. Mein Gefühl, dass eine Gefahr drohte, war sehr stark. Eigentlich sah der Schauplatz friedlich aus. Man sah niemanden außer einem uniformierten deutschen Zollbeamten, der in unsere Richtung schlenderte und einem kleinen Mädchen, das mitten auf der Straße vor dem Restaurant mit einem großen schwarzen Hund und einem Ball spielte.
Ich muss ziemlich abgebremst haben, denn Klop rief: "Fahren Sie weiter, es ist alles in Ordnung." Ich kam mir wie
ein Dummkopf vor, weil ich so nervös war.
A
Café Backus
B
Stelle auf der Veranda, wo Schemmel stand
C
Unser Auto
D
Deutsches Auto
E
Klop schoss und fiel hier
F&G
Ich und Stevens
H
Sah Lemmens hier von zwei Männern festgehalten
I
Niederländisches Zollgebäude
J
Deutscher Schlagbaum
K
Deutsches Zollgebäude
Quelle:
Sigismund Payne Best,
Kopie von handschriftlicher Aufzeichnung, Archiv Bulhof
Der lange niedrige Buick fuhr sehr schnell um die leichte Kurve, verlangsamte die Fahrt dann, als der Fahrer die Person vor
dem Restaurant erblickte. Schellenberg winkte und lehnte sich über das Holzgeländer. Kurz runzelte er die Stirn.
Vier Männer waren im Auto, nicht zwei. Inzwischen war es neben ihm, und er zeigte nach hinten auf den Parkplatz.
Ein holländischer Fahrer saß am Lenkrad. Er lenkte auf die Einfahrt und sagte etwas zu dem Fremden neben sich.
Best und Stevens saßen hinten.
Alfred legte den Gang so ruckartig ein, dass die Männer auf dem Trittbrett sich an die Seitenwände klammerten,
um sich zu halten. In den ersten paar Sekunden war das Auto langsam, aber dann schafften die acht Zylinder das enorme
Gewicht und gaben ihr bestes. Die erstaunten Grenzposten standen wie angewurzelt, als das große Fahrzeug fast
unsichtbar unter der Last der zwölf Männer an ihnen vorbeischoss.
Innerhalb von Sekunden hatte jeder Mann eine Pistole in der Hand, als ob er sie aus der Luft gegriffen hätte.
Der Buick schwenkte stark bremsend von der Landstraße ab, dem Parkplatz hinter dem Cafe zu.
Langsam fuhr ich den Wagen nach links vor das Restaurant und parkte dann rückwärts ein auf dem Parkplatz an der Seite vom Gebäude, die am weitesten von der Grenze entfernt war. Schaemmel stand an der Ecke auf der Veranda und machte ein Zeichen, dass ich so verstand, dass unser Vogel drinnen sei. Ich machte den Motor aus, und Stevens stieg rechts aus. Mein Auto hatte Linkssteuerung.
Nun rasten sie die Straße entlang. Der Buick war fast außer Sichtweite auf dem Parkplatz. Einer der stehenden
Männer feuerte seine Pistole in die Luft. Alfred fluchte schrecklich auf ihn. Er konzentrierte sich auf die
Gestalt von Schellenberg, der sich Gott sei Dank nicht umgedreht hatte bei dem Schuss. Ein Fuß glitt vom
Gaspedal auf die Bremse. Er schätzte den Abstand sehr genau und trat fest darauf. Die Reifen quietschten,
und Alfred, der immer noch zu schnell war, riss das Lenkrad erst nach links, dann nach rechts und schlitterte hinter
dem Buick her in einer Staubwolke und dem Geruch von Gummi.
Bevor der Wagen anhielt, waren die SS-Männer schon abgesprungen und rannten schreiend nebenher.
Alfreds Tür war geöffnet, er kletterte hinaus und ärgerte sich, weil er in seiner Manteltasche
nach seiner Pistole suchen musste.
Ich war noch etwa zehn
Schritte von dem Wagen entfernt, als ich das Auspuffgeknatter unseres Kommandoautos hörte. Und schon fielen Schüsse.
Dann laute, brüllende Stimmen, offensichtlich von der konsterniert hin und her hastenden holländischen Grenzpolizei.
Ich hatte mich gerade hinter dem Lenkrad herausgeschlängelt, um ihm zu folgen, da hörte ich plötzlich Schreie und
Schüsse. Ich schaute hoch und sah durch die Windschutzscheibe einen großen offenen Wagen,
der um die Ecke fuhr, bis unsere Stoßstangen sich berührten. Er schien vollgepackt zu sein mit
grobschlächtigen Männern. Zwei von ihnen hockten auf der Motorhaube und feuerten mit Maschinenpistolen über
unsere Köpfe, die anderen standen im Auto oder auf den Trittbrettern. Alle schrieen und fuchtelten mit Pistolen herum.
Als seine Füße den Boden berührten, gab es vor ihm eine Explosion, und ein Windstoß von heißer Luft versengte seine Wange. Die Windschutzscheibe zersplitterte. Er drehte sich um, um zu sehen, woher die Kugel gekommen war. Ein Mann rannte gebückt zur Straße und schoss dabei. Es gab eine Detonation von Maschinengewehrfeuer über Alfreds Kopf hinweg, und der Mann brach zusammen. Im nächsten Augenblick ging alles durcheinander.
In den Fenstern des Restaurants erschienen Köpfe. Erschreckte Gesichter versuchten alles gleichzeitig zu erfassen. SS-Männer rannten zu der Leiche und stießen dabei mit denen zusammen, die zum Buick rannten. Jemand schoss mit einer Maschinenpistole. Einer blies wild eine Pfeife.
Im gleichen Moment sprang Leutnant Copper aus dem Buick, zog einen schweren Dienstcolt aus der Tasche und legte auf mich an.
Ich war unbewaffnet und sprang zur Seite. Im gleichen Augenblick raste der Kommandowagen um die Hausecke.
Copper kehrte sich dem gefährlicheren Ziel zu und schoss hintereinander einige Male in die Windschutzscheibe.
In einem Bruchteil von Sekunden sah ich das Aufsplittern der Scheibe und glaubte schon, dass einer der Schüsse
den Fahrer oder den neben ihm sitzenden Kommandoführer getroffen habe.
Doch schon sprang der Kommandoführer mit einem Riesensatz aus dem Auto, und nun begann ein regelrechtes Pistolenduell zwischen ihm und Copper. Plötzlich ließ Leutnant Copper die Pistole sinken und stützte seinen Körper auf die Knie. Ich stand noch immer in seiner Nähe.
Ich hörte rechts hinter mir Schüsse. Ich drehte mich um und sah Klop. Er musste hinter uns im Schutz der offenen Autotür herausgekrochen sein. Er rannte weg von uns schräg hin zur Straße. Er rannte seitwärts in großen Sprüngen und feuerte dabei auf die Männer, die uns gefangen genommen hatten. Er sah elegant aus, beide Arme waren ausgestreckt - fast wie ein Balletttänzer. Ich sah die Windschutzscheibe des deutschen Autos in einen Stern zersplittern, und dann fingen die vier Männer, die vor uns standen, an zu schießen. Und nach ein paar weiteren Schritten schien Klop zu schrumpfen und wie ein dunkler Haufen Kleider im Gras zusammenzufallen.
Bei all dem versuchte Alfred ruhig zu bleiben. Er konnte zwei Köpfe im Auto sehen und hoffte, es wären Best und Stevens. Sie waren es. Auf Englisch sagte er durch das offene Fenster zu ihren Nacken: "Hände hoch. Sie haben keine Chance."
Die beiden blieben einen Augenblick sitzen und wussten nicht, ob sie drinnen bleiben oder herauskommen sollten. Sie hoben ihre Hände, und nachdem sie mit einer Pistole gestoßen worden waren, rutschten sie über den Vordersitz zur Tür. Zwei Männer hatten Handschellen bereit, und sie wurden ihnen angelegt.
Vier Männer sprangen vom Auto, noch bevor es anhielt, stürzten auf uns zu und riefen: "Hände hoch!"
Ich kann mich wirklich nicht mehr erinnern, wie ich aus dem Auto gestiegen bin, aber als die Männer uns erreicht hatten, stand ich jedenfalls links neben Stevens. Ich hörte, wie er sagte: "Jetzt sind wir dran, Best." Die letzten Worte, die wir für über fünf Jahre wechselten. Dann wurden wir gepackt. Zwei Männer zielten mit ihren Pistolen auf unsere Köpfe, die beiden anderen legten uns schnell Handschellen an.
Man hörte ein neues Geräusch, ein Motor wurde angelassen. Alle erstarrten und schauten zum Parkplatz. Es war Schellenberg. Sein blasses Gesicht war noch weißer, als er durch den anderen Eingang wegdonnerte. Eine Sekunde, und er raste hinter ihnen vorbei auf der Straße nach Deutschland. Alfred wollte lächeln, konnte aber nicht vor seinen Gefangenen.
Da fuhr mich die rauhe Stimme des Kommandoführers an: "Nun hauen Sie doch endlich ab!" Ich sauste um die Hausecke in Richtung meines Wagens und sah noch im letzten Augenblick, dass Best und Stevens wie ein Bündel Heu aus ihrem Wagen gehoben wurden. Hinter der Hausecke erwartete mich ein neues Verhängnis: ein baumlanger SS-Unterführer packte mich an der Brust (der Betreffende war gegen jede Anordnung erst in letzter Minute dem Kommando zugeteilt worden und verwechselte mich mit Captain Best). Ich stieß ihn mit einem Ruck zurück und schrie: "Mann, nehmen Sie die Pistole weg!" Doch statt dessen legte er auf mich an. Im selben Moment, als er abdrückte, sauste eine Faust auf seinen Arm, und der Schuss ging haarscharf an meinem Gesicht vorbei. Der zweite Kommandoführer war mir in letzter Sekunde zur Hilfe gekommen.
Ich sprang nun in meinen Wagen und fuhr blitzschnell der deutschen Grenze zu. Das Überraschungsmanöver war ohne nennenswerte Gegenaktion der holländischen Polizei gelungen.
"Rechts, Marsch!", rief er, "Beeilung!"
Die ganze Truppe, mit Best und Stevens in der Mitte, marschierte los im Schnellschritt. Den letzten Mann rief er zurück. Er zeigte auf den Buick und befahl: "Fahren Sie ihn zur Grenze." Er setzte sich in sein eigenes Auto und fuhr nach einem letzten Blick rundum rückwärts raus. Im Vorbeifahren sah er kurz das kleine Mädchen, wie es in einem Garten kauerte, die Arme um ihren schwarzen Hund gelegt.
"Jetzt, marsch!", riefen die Männer, die uns gefangen genommen hatten, und stießen uns mit ihren Pistolen ins Kreuz. Mit Rufen von "Hopp, hopp, hopp!" brachten sie uns schnell auf der Straße zur Grenze. Als wir an der Vorderseite des Restaurants vorbeikamen, sah ich meinen armen Jan, wie ihn zwei Männer an den Armen hielten und mit dem Gesicht nach unten fortschleppten. Mir schien sein Kinn gerötet wie von einem Schlag. Dann waren wir über der Grenze. Die schwarz-weiße Schranke senkte sich hinter uns. Wir waren in Nazi-Deutschland.
Quelle: Günter Peis, The Man Who Started The War, London, 1960. Übersetzung: Inge McCormick.
Quelle: Walter Schellenberg, Aufzeichungen. Die Memoiren des letzten Geheimdienstchefs unter Hitler, München 1979, S. 79 ff (Erstveröffentlichung London 1956)
Quelle: Sigismund Payne Best, The Venlo Incident, London 1950, S. 7 ff. Übersetzung: Inge McCormick.