Erster aktiver Widerstandskämpfer?

Parallelen in der Beurteilung von Reichstags-Brandstifter Marinus van der Lubbe
und Bürgerbräu-Attentäter Georg Elser als Alleintäter

Von Hans Mommsen, Historiker


  Hans Mommsen
Wenn überhaupt zufällige Momente ein Ärgernis für die historische Ausdeutung des Reichstagsbrands darstellen, so ist es der Umstand, dass van der Lubbe mit unzulänglichen Brandmitteln und wider das Ermessen nahezu aller Brandgutachter, Thermodynamiker und Chemiker den Plenarsaal zur Entzündung bringen konnte. ...

Dem Handeln des Alleintäters van der Lubbe das "Odium" des Zufälligen zu unterlegen ist jedoch ebenso wenig berechtigt wie im Falle des Georg Elser, der 1939 das Bürgerbräu-Attentat gegen Hitler inszenierte. Wäre das ohne jeden Zweifel von Elser im Alleingang unternommene Attentat geglückt, hätte die Geschichte des Dritten Reiches einen anderen Verlauf genommen.

Es ist symptomatisch, dass sowohl die Nationalsozialisten wie heute die Gegner der Alleintäterschaft van der Lubbes dem Attentäter Elser Hintermänner zuschrieben; er soll einer Verschwörung gegen das Regime oder einer nationalsozialistischen "Provokation" gedient haben.

Moralische Empörung gegen das Regime, die Elser erfüllte, war auch van der Lubbes Motiv, wenngleich seine Tal auf einer verhängnisvollen Verkennung ihrer politischen Folgen, beruhte. Gleichwohl ist kaum jemand bereit, ihn als ersten aktiven Widerstandskämpfer gegen das sich etablierende Regime zu akzeptieren; bestenfalls gilt er als irregeleiteter Anarchist, schlimmstenfalls als ein von den Nationalsozialisten gedungenes Werkzeug.

Quelle: Hans Mommsen, Der Reichstagsbrand - Alibi einer Nation, DER SPIEGEL 43/1972 16.10.1972 S.80 ff


PDF Hans Mommsen, Der Reichstagsbrand und seine politischen Folgen
         in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 12. Jahrgang 1964, Heft 4, S. 351 ff

Reichtagsbrandprozess 1933 - Juristisches Nachspiel
Falsche Gerüchte über Georg Elser
Vergleich Lubbe - Elser - Schulze-Boysen - Scholl - Stauffenberg