Union Time, Hilda Monte und der Illegale "A"
Standen englische Geschäfts- und Presseleute hinter dem Bürgerbräuattentat?Im Sommer 1938 wurde in London eine geheime Anti-Nazi-Organisation namens "Union Time Ltd." gegründet. Nach Angaben ihres ehemaligen Leiters, Werner Knop, fanden sich englische Geschäfts- und Presseleute zusammen, um die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit einer starken Außenpolitik gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland zu überzeugen und den Kampf gegen das Hitler-Regime auch direkt durch Propaganda und Finanzierung deutscher illegaler Gruppen zu unterstützen.
VON PETER KOBLANK (2006)
Einer der Sponsoren war der wohlhabende Labourabgeordnete George Russell Strauss
(* 18.7.1901; 5.6.1993). Strauss wurde
1939 für kurze Zeit aus der Labour Party ausgeschlossen. Während des Krieges wurde er Staatssekretär
im Transportministerium. 1947 bis 1951 war er Minister für Versorgung. Strauss war 46 Jahre Parlamentsmitglied,
"Father of the House of Commons" und wurde 1979 zum Baron ernannt.
Sunday Times 15.12.1946 Kompletter Artikel |
George Russell |
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Strauss habe sich mit dem bereits erwähnten Werner Knop in Verbindung gesetzt. Es wurde entschieden, Hilda Montes Gruppierung unabhängiger Sozialisten in Deutschland mit den erforderlichen finanziellen Mitteln für den Anschlag auszustatten.
Ein junger Deutscher namens "A" habe schließlich, als Elektriker verkleidet, die explosive Ladung im zentralen Pfeiler des Bürgerbräukellers platziert und die Zündung auf 21:21 Uhr eingestellt.
Da Hitler befürchtete, dass die Royal Airforce einen Luftangriff auf ihn verüben wollte, sei er schon um 20:05 Uhr statt erwartungsgemäß um 20:30 Uhr im Bürgerbräukeller angekommen. Um 20:15 Uhr, sechs Minuten vor der Explosion, habe er den Veranstaltungsort verlassen.
Hilda Monte war der Deckname der Widerstandskämpferin Hilde Olday, geb. Meisel (* 31.7.1914 in Wien; 17.4.1945 bei Feldkirch). 1915 zog die assimilierte bürgerlich-jüdische Familie von Wien nach Berlin und lebte vom Import und Export von Haushaltsartikeln. Hilda schloss sich bereits im Alter von fünfzehn Jahren dem "Internationalen Sozialistischen Kampfbund" (ISK) an. 1932 begann sie ein Studium in London, wo sie 1933 den Widerstand gegen den Nationalsozialismus aufnahm. Sie leistete Kurierdienste, schmuggelte Literatur nach Deutschland und verhalf Verfolgten zur Flucht. In der Exil-Publikation des ISK schrieb sie Beiträge zu wirtschaftlichen Fragen.
Im englischen Exil kam es über die Frage der Gewalt im antifaschistischen Widerstand zu Auseinandersetzungen, bei denen sie sich 1939 auf die Seite der Verfechter einer radikaleren Position, die auch Anschläge auf die Naziführung befürworteten, schlug. Für einige Jahre trennte sie sich vom ISK, um mit Waldemar von Knoeringen und Richard Löwenthal am "Sender der europäischen Revolution" und an der Vorbereitung für eine "Partei der Revolutionären Sozialisten" mitzuwirken. Während des Krieges veröffentlichte sie die Novelle "When Freedom Perished" und das Buch "The Unity of Europe", beteiligte sich an deutschsprachigen Sendungen des BBC und hielt Vorträge über Fragen der Nachkriegsordnung. Im Sommer 1944 wurde sie vom Office of Strategic Services (OSS, Vorläufer der CIA) zusammen mit weiteren Agenten zur Spionage in Deutschland angeworben. In der Nähe von London wurde sie auf den praktischen deutschen Alltag im nationalsozialistischem Deutschland vorbereitet und im Fallschirmspringen ausgebildet.
Hilda nahm Kontakte zu österreichischen Mitstreitern auf und ging illegal über die Grenze. Auf dem Rückweg in die Schweiz lief sie wenige Wochen vor Kriegsende am 17. April 1944 in der Nähe von Feldkirch einer Grenzpatrouille in die Hände, die nach einem Fluchtversuch auf sie schoss. An den Folgen eines Schusses in den Oberschenkel verblutete sie noch an der Grenze. Vieles, was später über Hilda Montes Zeit in England veröffentlicht wurde, hat seinen Ursprung in John Oldays Erinnerungen, die er mit Phantasiegeschichten ausschmückte.
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Die Geschichte des Illegalen "A" klingt für den heutigen Leser angesichts des inzwischen erreichten Wissensstandes über den Fall Elser vollkommen absurd. Doch kurz nach Kriegsende war damals nicht auf den ersten Blick zu erkennen, dass hier Trittbrettfahrer versuchten, sich mit fremden Federn zu schmücken.
Der Historiker Anton Hoch schrieb 1969 zum Gerücht um Union Time, Hilda Monte und den geheimnisvollen "A" unter Bezugnahme auf einen 1946 in der "Saturday Evening Post" erschienenen Artikel von Werner Knop:
Der Vollständigkeit halber muss hier noch eine weitere Version erwähnt werden, die vor einiger Zeit temperamentvoll
vertreten worden ist und nach der "das Attentat von einer Nachrichtenagentur, der 'Union Time Ltd.' 29
in London finanziert, von Hilda Monte 30 organisiert und von einem Illegalen 'A' schließlich ausgeführt
wurde" 31. Die einzige Quelle für diese Version ist ein Brief, den der geheimnisvolle Illegale "A" im März 1940 an die Londoner Zentrale der "Union Time Ltd." geschrieben haben soll. Werner Knop, deutscher Emigrant und damaliger Leiter der "Union Time", hat ihn 1946 in dem Artikel "The inside story of the Munich bomb" in der "Saturday Evening Post" veröffentlicht 32. Danach habe sich "A" mit Hilfe falscher Personalpapiere, die ihn als Mitglied der Partei, der SS und der DAF "auswiesen", im Bürgerbräukeller eine Anstellung als Elektriker und Aushelfer [sic] verschafft. Diese soll es ihm ermöglicht haben, die baulichen Verhältnisse des Bürgerbräu kennenzulernen und das Attentat vorzubereiten. So habe er dem Nachtwächter betäubende Mittel in den abendlichen Rumgrog geschüttet, um in Ruhe den erforderlichen Hohlraum in dem Pfeiler freizulegen. Ausgerechnet im Laboratorium der IG-Farben in Höchst, wo angeblich ein Mitglied seiner Gruppe arbeitete, soll er sich den Sprengstoff und die mechanischen Zeitzünder besorgt haben. Sie habe er dann Anfang November eingebaut, wobei in den beiden kritischen Nächten ein weiterer Wachposten, ein junger SS-Mann, mit Hilfe einer schmucken Kellnerin abgelenkt worden sei. Man wundert sich danach auch nicht mehr, wenn man weiter hört, dass inzwischen ein Kommando SS und Gestapo das Bürgerbräu besetzt und es genauestens durchsucht habe. "Immer mit dem Blick auf eine Anzahl SS-Wachen, die in der Mitte des Kellers saßen, schloss ich die kleine Stahltür auf, setzte das Uhrwerk in Gang und stellte die Zünder auf 21 Uhr 21 ein." Unmittelbar nachher sei "A" in Richtung Süden abgereist, um tags darauf in Bozen zu lesen, dass das Attentat missglückt sei. Dieser Bericht spricht für sich selbst. Es besteht nicht der geringste Zweifel darüber, dass der mysteriöse "A", den weder Knop noch John Olday persönlich gekannt haben, nichts mit dem Attentat zu tun hat. Die Geschichte, die er seinem Auftraggeber mit erheblicher - vielleicht bemerkenswerter - Verspätung erzählte, ist eine miserable Erfindung. Das eine oder andere Detail hat er offensichtlich damaligen Presseberichten entnommen, wie ein Vergleich zwischen diesen und dem "A"-Bericht zeigt. Hilda Monte wäre jedenfalls nicht gut beraten gewesen, wenn sie "A" zu ihrem Vertrauensmann für die Ausführung des Attentatsplanes gemacht hätte 33.
Quelle: Anton Hoch,
Das Attentat auf Hitler im Münchener Bürgerbräukeller,
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Anton Hoch (* 1914 in Weiden; 1981 in München), Dr. phil., Historiker, war bis 1978 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte in München. Hoch erbrachte 1969 in seinem 37-seitigen Aufsatz, aus dem obige Auszüge stammen, den Nachweis der Alleintäterschaft Georg Elsers. Dies war insbesondere vor dem Hintergrund des 1964 von Lothar Gruchmann entdeckten Gestapo-Protokolls möglich.
Dass aber nach dem Krieg die wildesten Spekulationen über das Bürgerbräuattentat gang und gäbe waren, zeigt auch ein Artikel im "SPIEGEL" aus dem Jahre 1950, der auf Hilda Monte Bezug nimmt:
In einem Nachkriegs-Artikel "Sechs Minuten zu spät" bringt ein Mann namens Werner Knop in der
"Saturday evening Post" eine ausführliche Schilderung des Attentats. Danach war es eine Mrs.
Olday alias Hilda Monte, die im Mai 1939 Geldmittel von den englischen Geschäftsleuten - "ein paar tausend
Pfund" - erbat und bekam, um Hitler außer Gefecht zu setzen. Später wurde sie von einem "hochgewachsenen hübschen Norddeutschen, anfangs Zwanzig, der weder seinen wirklichen Namen nannte, noch auch nur eine Zeile von Hilda Monte brachte", von einem "Herr A", abgelöst. "A" beschrieb später in einem Brief, wie er das Attentat ins Werk gesetzt habe. Ein Mitglied der Bewegung habe sich in dem Restaurant anstellen lassen und die Bombe in einem Pfeiler des Kellers eingebaut. "Er stellte die Zündschnur der Bombe so ein, daß die Explosion während der Rede Hitlers erfolgen mußte. Es kam jedoch anders. Hitler hielt seine Rede früher als vorgesehen und verließ den Bürgerbräukeller sechs Minuten vor der Explosion." Beweise: Keine. Es existiert lediglich der Brief von "A", angeblich abgegeben durch einen Boten bei Werner Knop in London. Quelle: DER SPIEGEL Nr. 1/1950 vom 5.1.1950 S. 24 im Artikel Das Spiel ist aus - Arthur Nebe |
Wenn in diesem "SPIEGEL"-Artikel Zweifel an der Täterschaft von "A" anklingen, so nur deshalb, weil eine Seite weiter behauptet wird, die Erforschung des Bürgerbräuattentat erübrige sich ohnehin: In Wirklichkeit habe Alfred Loritz MdB, Vorsitzender der bayerischen Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV), hinter dem Attentat gesteckt und Elser sei nur dessen Kurier gewesen.
Dieser Artikel ist Teil der Online-Edition Mythos Elser.