"Wie eine phantasievolle Abenteurergeschichte"
Was Kurt von Schuschnigg über Georg Elser erfahren hatKurt von Schuschnigg, von Juli 1934 bis März 1938 Bundeskanzler von Österreich, verbrachte anschließend sieben Jahre in Schutzhaft. Seine zweite Frau Vera begab sich freiwillig mit ihm in Haft, wo auch die am 23. März 1941 geborene Tochter Maria Dolores Elisabeth ("Sissy") ihre ersten Lebensjahre verbrachte. In seinen Erinnerungen1 berichtet er über ein Gespräch mit Sigismund Payne Best über Georg Elser, das er am 17. April 1945 im KZ Dachau führte.
VON PETER KOBLANK (2012)
Mr. Best sagt, dass er mich nach früheren Pressephotographien wiedererkannte; ich kann erwidern, dass es umgekehrt nicht anders stand. Denn im November 1939 (im Münchner Polizeigefängnis) war der "Völkische Beobachter" im Zusammenhang mit der Schilderung des berühmten Attentats auf Hitler im Bürgerbräukeller durch Tage voll mit den Bildern des Intelligence-Service-Agenten Mr. Best, des ruchlosen Anstifters des verbrecherischen Mordanschlags auf den Führer.... Und dann erzählt Mr. Best in seiner trockenen, sachlichen Art was sich tatsächlich zutrug. Und dies klingt wie eine phantasievolle Abenteurergeschichte: Die SS hatte ihn und seinen Kollegen Mr. Stevenson3, der übrigens auch in Dachau sitzt, und von dem er strenge ferngehalten wurde, in einen Hinterhalt gelockt und wider alles Völkerrecht auf holländischem Staatsgebiet überwältigt.4 Mit dem Attentat, von dem er nichts ahnte, hatte er selbstredend gar nichts zu tun; sein Auftrag war vielmehr, das Möglichste dazu zu tun, um den Kriegsausbruch mit England zu verhindern. Der Münchner Attentäter Elsler5 - den ich übrigens seinerzeit selber im Münchner Gestapogefängnis gesehen hatte - sei keineswegs vor Gericht gestellt worden; vielmehr habe er - Best - ihn durch Jahre im KZ Sachsenhausen gesehen und auch gesprochen. Elsler habe dort eine ausgesprochene Vorzugsbehandlung genossen, und angeblich war ihm eine Summe von 40 000 Mark, nach Kriegsende zahlbar, von der Gestapo versprochen! Übrigens gelang es Mr. Best, ein Originaldokument, adressiert an den Lagerkommandanten von Dachau, in die Hand zu bekommen, datiert vom 1. April 1945, in welchem mitgeteilt wurde: "Der Reichsführer und Reichsminister Heinrich Himmler ordne über allerhöchsten Auftrag an, dass der bekannte Häftling Elsler durch besonders verlässliche Leute sofort umzulegen sei, wobei über allerhöchste Weisung eine Pressenotiz zu veröffentlichen wäre, dass Elsler bei einem Terrorangriff des Feindes im KZ Dachau ums Leben kam...." Mr. Best gewährte mir in diese bezeichnende Urkunde Einsicht, deren Echtheit ganz außer Zweifel steht.6 Es begeben sich die sonderbarsten Dinge im Dritten Reich, und das Sonderbarste werden die Überlebenden wohl erst sehr viel später erfahren. Ob dann nicht doch etlichen die Augen aufgehen werden? Allerdings dann wird es zu spät sein. Und wir werden wohl kaum noch Gelegenheit haben, zu reden.... |
1 | Kurt von Schuschnigg, Ein Requiem in Rot-Weiß-Rot, Zürich 1946, S. 496 ff |
2 | Sigismund Payne Best war ein britischer Geheimdienstagent, der 1939 an der niederländisch-deutschen Grenze vom deutschen Geheimdienst gekidnappt und seither die meiste Zeit im KZ Sachsenhausen gefangen war. |
3 | Richtiger Name: Richard Henry Stevens. Er wurde gemeinsam mit Best gekidnappt und von diesem getrennt die meiste Zeit im KZ Dachau untergebracht. |
4 | Dies war der sogenannte Venlo-Zwischenfall. |
5 | Richtiger Name: Georg Elser. Man muss Schuschnigg zu Gute halten, dass zum Zeitpunkt seiner Aufzeichnungen auf keine Archive zurückgreifen konnte und es daher völlig verständlich ist, dass er sich an Elsers Namen nicht präzise erinnert hat. |
6 | Peter Koblank, Die Entdeckung des Befehls zur Liquidierung Elsers, in: Online-Edition Mythos Elser |
7 | Peter Koblank, Die Befreiung der Sonder- und Sippenhäftlinge in Südtirol, in: Online-Edition Mythos Elser |
Dieser Artikel ist Teil der Online-Edition Mythos Elser.