Mit Schmunzeln hatte ich mir vor dem Krieg eine von der deutschen militärischen Gegenspionage gedrehte Filmfolge angesehen,
in welcher Bewohner, Mitarbeiter und Besucher der englischen Spionagezentrale gegen Deutschland, die seit 1935 ihren
Sitz in Scheveningen gehabt hatte, vollzählig auftraten.
Ein paar sportliche, kaltblütige Burschen hatten die Filme in aller Ruhe gedreht durch das Kajütfenster eines großen Kanalkahns, der von Zeit zu Zeit einige Tage oder Wochen unauffällig am Kai einer Gracht festmachte, an deren Uferstraße, keine 30 Meter entfernt, die englische Spionageabteilung saß.
Englische Spionagezentrale in Scheveningen
Leider war es nur Stummfilm, aber die in die Bildfolge eingestreuten Texte kennzeichneten eindeutig die Namen, Decknamen, Aufgaben, Tätigkeit und Verbindungen jedes einzelnen der unfreiwilligen Akteure.
Es konnte nicht ausbleiben, dass die englischen Spionage-Agenten in Deutschland, die mit dieser Stelle zu tun hatten, ein saures Brot aßen, sofern sie es nicht vorzogen, die vom englischen Spionagedienst verlangten Nachrichten sich von der deutschen Gegenspionage geben zu lassen - zur Auslieferung an ihre Auftraggeber und selbstverständlich gegen anständige Bezahlung durch die Empfänger! Das Referat III D der Abwehr-Abteilung in Berlin hatte keine andere Aufgabe, als zur Irreführung geeignetes Spionagematerial für solche Verbindungen auszuarbeiten und den Leitern der III F-Stellen auf deren Anforderung zur Verfügung zu stellen. Dieser "amtliche" Handel mit irreführendem oder gefälschtem Spionagematerial war zeitweise recht einbringlich und half oft entscheidend mit, wenn vor dem Krieg das "Devisenschiff" der deutschen Gegenspionage mal auf dem Trockenen saß.
Quelle: Hermann J. Giskes, Abwehr III F - De Duitse contraspionage in Nederland, Amsterdam 1949
(deutsch: London ruft Nordpol, Bergisch-Gladbach 1982)
Hermann J. Giskes, Major, war ab 1941 Leiter der Gegenspionage der deutschen Abwehr
in den Niederlanden. Er war verantwortlich für das "Englandspiel", bei dem über fünfzig britische
Geheimagenten der Special Operations Executive (SOE), die nach und nach in den Niederlanden mit Sabotage- und
Spionageaufträgen per Fallschirm oder von Schiffen aus abgesetzt wurden, bereits bei ihrer Landung gefangengenommen
wurden. Mit Hilfe der erbeuteten Funkgeräte und Codes konnte Giskes den britischen Geheimdienst jahrelang
mit falschen Funkmeldungen irreführen.
Mit der englischen Spionagezentrale in Scheveningen ist das Passport Control Office (PCO) in
der Nieuwe Parklaan 57 im Stadtteil Scheveningen von Den Haag gemeint. Dieses wurde ab 1939 von Major
Richard Henry Stevens
von Secret Intelligence Service geleitet.